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Die Botschaft des letzten Boten, des ar-Raqqas - Abschied aus Rabat

Seite 2 von 4: Abschied aus Rabat

... Vermächtnis und Verheißung 

Grossvater und Enkel an der Tuer. Fiktives Bild mit Hilfe von Gemini erstellt

Am frühen Morgen seines Aufbruchs steht Mustafa an der Schwelle seines Elternhauses in Rabat - derselben Schwelle, die ihn in Kindheit und Jugend getragen hat. Sein Großvater, den alle nur „ar-Raqqas“ nennen, begleitet ihn schweigend. In seinem ernsten Blick liegt ein stilles Vermächtnis, das mehr sagt als Worte.

Als sie sich verabschieden, gibt der Großvater seinem Enkel die Hand - nicht nur als Geste, sondern als Übergabe eines unausgesprochenen Auftrags. Er erinnert ihn daran, dass der Name, den man ihm in der Heimat gegeben hat, seine erste Zugehörigkeit bleibt - egal, wohin der Weg führt. Düsseldorf, so sagt er, sei eine Welt aus Technik und anonymen Geschichten - aber der Ursprung liegt dort, wo man zum ersten Mal mit dem eigenen Namen gerufen wurde.

Mustafa verlässt das Haus - das Herz noch einmal zurückgewandt. Der Abschied ist still, fast rituell. Aus dem Minarett ertönt der Gebetsruf, als wolle er dem Aufbruch Segen verleihen. Als der Großvater vorangeht, fragt Mustafa ihn: „Wann sehen wir uns wieder?“ Die Antwort: „Wenn du Brücken baust - und erkennst, dass die erste Brücke darin besteht, die Erde zu verstehen.“

Auf dem Papier hinterlässt Mustafa sich selbst eine Botschaft: Er soll für jeden seiner Schritte eine Säule aus Licht errichten - denn es gibt Wege, die noch niemand gegangen ist. Diese Wege erwarten ihn. Das Ziel liegt zwischen zwei Ufern: dem der Zukunft - und dem der Erinnerung an die Heimat.

Großvater und die Spuren des Alten Weges

Der Großvater trägt in seinem Gesicht die Spuren eines Lebens auf den alten Wegen Marokkos - Pfade, die nicht auf Karten verzeichnet sind, sondern in Erinnerung und Körper eingeschrieben. Er war Bote zwischen Städten, trug Nachrichten nicht in Taschen, sondern im Stoff seines Gewandes, im Schweiß und im Vertrauen.

Die Briefe, die er überbrachte, waren keine amtlichen Schreiben - sie waren Träger von Geheimnissen und Schicksalen: zwischen Gelehrten, Getrennten, Hoffenden. Der Weg selbst war hart - kein befestigter Pfad, sondern Erde, Staub, Schlamm, durchzogen von verborgenen Wasseradern. Und doch lernte er, ihn zu lesen wie ein Buch: an Gerüchen, an der Stille, an den Zeichen der Natur.

Einmal begegnete er einem Wolf. Kein Raubtier, sondern ein ebenso Verirrter. Beide verstanden sich - stumm, flüchtig, aber tief. Solche Begegnungen machten ihn zu einem, der nicht bloß ging, sondern lauschte. Der Weg, so sagte er, offenbare sich nur dem, der hinhört wie ein Dichter, wenn er sein erstes Versmaß spricht.

Der Großvater schrieb nie Gedichte, doch wenn er im Winter den Sebou-Fluss durchquerte, fühlte es sich an, als sei der Himmel selbst eine Zeile, die sich über ihn beugte. Regen wurde zu Sprache, der Weg zum Lehrer. Und wenn ihn jemand fragte, ob das nicht alles zu schwer sei, sagte er: „Mühe, die keinen Reue birgt, ist ein stiller Adel.“ So ging er weiter - barfuß, mit einer Botschaft im Herzen, deren Inhalt er nicht kannte, aber deren Bedeutung für ihn außer Frage stand.

Zwischen deutschem Stein und dem Echo der Felder

Mustafa steht am glaesernen Uebergang. Fiktives Bild mit Hilfe von Gemini erstelltAls Mustafa in Düsseldorf ankam, fühlte sich der Boden fremd an - nicht wie Erde, sondern wie Papier, auf das Städte präzise gezeichnet wurden: funktional, kühl, ohne jede Spur von Sehnsucht. Alles war durchgeplant - die Wege, die Fassaden, selbst der Regen wirkte steril. Die Gesichter blieben distanziert. Es war eine Welt der Effizienz - ohne Fehler, aber auch ohne Vergebung.

Und obwohl er die Eleganz dieser Ordnung anerkannte, sehnte er sich nach dem Chaos seiner Heimat - nach der Unordnung, die Leben schenkt. In ihm klang weiter die Erinnerung an den Großvater - und an dessen Weg über lehmige Felder, als trüge er die alten Spuren noch in sich.

Als er eines Tages über eine moderne Glasbrücke an der Universität ging, überkam ihn ein Gedanke: Wie kann eine Brücke Gebäude verbinden, aber Seelen voneinander trennen? Wo bleibt der Mensch in all dieser technischen Perfektion?

Er erinnerte sich an seinen Großvater, der einst barfuß einen Fluss überquerte - nur begleitet von einem Versprechen, dass seine Botschaft ankommen würde, komme, was wolle. Und Mustafa wurde klar, was ihm hier fehlte: das Risiko, das jede Handlung bedeutungsvoll macht. In Deutschland waren alle Bedeutungen vorprogrammiert - festgeschrieben, gespeichert, rationalisiert. Beim Großvater hingegen entstanden Bedeutungen durch Erfahrung - wie Wasser, das man mit Mühe aus einem alten Brunnen schöpft.

In diesem Moment fasste Mustafa einen Entschluss: Er wollte mehr sein als ein guter Ingenieur. Er wollte in seinem Tun die Erinnerung tragen - so wie der Großvater die Briefe getragen hatte: mit Ernst, mit Mut, und mit der Überzeugung, dass der Weg selbst Teil der Botschaft ist.

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Brücken der Erinnerung
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