An-Nejjarine - Das pulsierende Herz von Fès - Ayn ‘Allu und Sidi Moussa
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Die Gassen von Ayn ‘Allu
Vom Ayn-‘Allu-Markt zweigt eine unscheinbare Gasse namens Ayn al-Khayl (Quelle der Pferde) ab. Wäre da nicht die gleichnamige Moschee - der Ayn al-Khayl-Moschee -, so hätte dieser Weg wohl kaum Beachtung verdient. Diese Moschee, auch bekannt als „al-Azhar-Moschee“, wie sie im Werk Salwat al-Anfas(*) von Muhammad Ibn Ja’far al-Kettani erwähnt wird, hebt sich architektonisch deutlich von den übrigen Sakralbauten in Fès ab.
Ihr Minarett gehört zu den wenigen, deren Baustil nicht dem traditionellen marokkanischen Muster folgt - eine Rarität, die sie in eine Reihe mit der Kasbah-Moschee in Tanger, der Hauptmoschee von Chefchaouen, dem runden Minarett der Sentissi-Moschee in Moulay Idris Zerhoun und dem Minarett des Mausoleums von Moulay al-Makki in der Altstadt von Rabat stellt. Besonders ungewöhnlich ist der Aufbau der Moschee: Sie besteht aus zwei übereinanderliegenden Etagen - jede für sich ein vollständiger Gebetsraum mit allen dazugehörigen Einrichtungen. Diese architektonische Besonderheit wurde zu einem beliebten Rätsel unter den Bewohnern von Fès, und so heißt es im Volksmund: „Wo steht eine Moschee über einer Moschee?“.
Berühmt wurde der Bau jedoch vor allem, weil er als Aufenthaltsort des andalusischen Mystikers und Philosophen Muḥyi ad-Din Ibn Arabi (1165-1240), auch bekannt als: Ash-Shaykh al-Akbar („der größte Meister“) gilt. Während seines Aufenthalts in Fès soll er hier die Arbeit an einem seiner bedeutendsten Werke begonnen haben - Die Mekkanischen Offenbarungen (al-Futuhat al-Makkiyya). Einer seiner prägenden Gedanken lautet: „Das Urteil ist die Frucht der Weisheit, und Wissen ist die Frucht der Erkenntnis. Wer keine Weisheit besitzt, kann kein gerechtes Urteil fällen. Wer keine Erkenntnis hat, dem fehlt wahres Wissen.“
Das Viertel Sidi Moussa
Östlich des Platzes an-Nejjarine führen gewundene Gassen in das Viertel von Sidi Moussa. Den Auftakt bildet hier der bekannte Hammam Moulay Idris, ein traditionelles Dampfbad, das einst von einem der bedeutendsten Sammler der volkstümlichen Melhoun-Poesie, Haj Mohammed al-Kissi, betrieben wurde. Gegenüber dem Badehaus markiert ein schlichtes Holzschild den Eingang zur westlichen Seite der religiösen Bruderschaft von Moulay Idris.
Ein weiterer Zugang, ebenfalls vom östlichen Rand des Platzes aus, führt in den Töpfermarkt - auch bekannt als Souk al-Fakhkharin oder Souk al-Qachachin -, wo Haushaltswaren und Keramik verkauft werden. Von hier aus verzweigen sich zahlreiche weitere Märkte, die sich in Länge, Breite und Spezialisierung voneinander unterscheiden: So etwa der Markt von Sidi Frej, einst Standort des berühmten Maristan - einer psychiatrischen Klinik, die von 1286 bis 1944 psychisch Erkrankte aufnahm. Oder der Souk as-Serrajin, spezialisiert auf Reitsättel, der früher am Bab Boujloud lag und später hierher verlegt wurde. Auch der Souk al-Juwwayin, wo einst kunstvoll gearbeitete Schwert- und Dolchscheiden hergestellt wurden, gehört dazu.
Am östlichen Ende dieser kleinen Märkte beginnt schließlich der längste Markt der Altstadt: der Souk al-‘Attarin, der Gewürz- und Parfümmarkt. Hier findet sich alles, was mit der marokkanischen Küche, Düften und weiblicher Schönheitspflege zu tun hat. Bemerkenswert ist, dass gerade dieser Markt keinen eigenen Wasserbrunnen (s-Seqqaya) besitzt - ein Unikum in der Altstadt, wo ansonsten jeder Markt über einen Brunnen oder eine Trinkstelle verfügt. Die angrenzenden Märkte wie der Webermarkt, der Teppichmarkt oder der Markt der Knüpfer hingegen haben alle eigene Wasserquellen.
Bis in die späten 1950er Jahre wurden am westlichen Eingang des Gewürzmarktes noch Blumen, Rosen und Gartenpflanzen verkauft. Heute ist das Bild durchmischt - ein Sammelsurium an Verkaufsständen und Waren.
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Siehe auch Fès, Stadt der verborgenen Schätze und der wissenschaftlichen Erleuchtung
(*) Muḥyi ad-Din Ibn Arabi, geboren 1165 in Murcia, al-Andalus und gestorben 1240 in Damaskus. Er ist einer der einflussreichsten Sufis und Mystiker. Seine wichtigsten Werke sind „al-Futūḥāt al-Makkiyya“ (Die Mekkanischen Offenbarungen) und „Fuṣūṣ al-Ḥikam“ (Die Edelsteine der Weisheiten)
(*) „Salwat al-Anfās“ ist ein bedeutendes historisches und literarisches Werk aus dem 19. Jahrhundert, verfasst von Muhammad ibn Jaʿfar al-Kettani, einem bekannten Gelehrten aus Fès. Der Titel lässt sich etwa übersetzen als „Trost für die Seelen“ oder „Seelentröster“. Salwat al-Anfās ist eine umfassende Sammlung von Biografien berühmter Heiliger, Gelehrter und frommer Persönlichkeiten, die in Fès lebten oder dort begraben sind. Das Werk ist sowohl eine spirituelle als auch eine kulturhistorische Quelle - es verbindet hagiografische Erzählungen mit präzisen Beschreibungen von Orten, Bräuchen und dem geistigen Leben in der Stadt. „Salwat al-Anfās“ gilt als ein zentrales Werk für das Verständnis der religiösen Topografie von Fès und wird oft von Historikern, Stadtforschern und Sufi-Interessierten herangezogen.
Autor: Idriss Al-Jay*
Übersetzung aus dem Arabischen