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Fernsehen in Marokko - Der Tag, an dem Bilder zu erzählen begannen

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Es gibt Momente, die den Alltag in neue Bahnen lenken. Der 3. März 1962 ist so ein Tag in der Geschichte Marokkos. An diesem Tag begann das Flimmern auf den Bildschirmen, und mit ihm traten Bilder, Klänge und Geschichten in das Leben eines ganzen Landes ein. Das Fernsehen öffnete Fenster zu Welten jenseits der eigenen Mauern, verwebte Tradition mit Moderne und berührte die Herzen von Städten und Dörfern gleichermaßen. Von hier an wurde der Abend nie mehr wie zuvor.

Antenna, Foto auf pixabay

Für Marokko war der 3. März 1962 ein einschneidender Tag - ein Datum, das das Land verändern sollte: seine Städte und Dörfer, seine Zentren wie seine entlegenen Regionen. An jenem Tag eröffnete der staatliche Fernsehsender seinen offiziellen Betrieb - für all jene, die sich ein Fernsehgerät leisten konnten, und das waren zu dieser Zeit nur wenige. Vorausgegangen war diesem Ereignis eine erste Phase: Bereits 1954 hatte die französische Firma „Telma“ ein Fernsehprojekt initiiert, das vor allem der Unterhaltung der ausländischen Gemeinschaft in Marokko dienen sollte. Doch diese erste, kolonial geprägte Episode endete nach nur fünfzehn Monaten.

Als Marokko 1962 offiziell mit dem Sendebetrieb begann, geschah dies - wie fast überall auf der Welt - in Schwarz-Weiß. Das Programm war auf vier Stunden täglich begrenzt: von 19 Uhr bis 23 Uhr - wenn man die regelmäßig auftretenden Sendepausen nicht mitrechnet, die mal kürzer, mal länger ausfielen. Der Montag war der Ruhetag des Fernsehens - der Bildschirm blieb schwarz.

Der Einzug des Fernsehens war ein Wendepunkt - nicht nur in den Wohnstuben, sondern auch in den familiären Beziehungen und im nachbarschaftlichen Gefüge. In der Altstadt von Fès zählten die ersten Fernsehbesitzer zu einer winzigen Minderheit - man konnte sie an einer Hand abzählen. Ein Blick von den Dächern genügte, um sie auszumachen: drei, vielleicht vier hoch aufragende Antennen, die ihre metallenen Arme über die Dächer reckten, teils höher als die Spitzen mancher Minarette. Mit starken Kabeln verankert, sollten sie dem Wind trotzen - bis sie schließlich, Jahre später, nach und nach verschwanden und den Satellitenschüsseln Platz machten.

Die ersten Programme des marokkanischen Fernsehens wurden vollständig auf Arabisch ausgestrahlt - darunter etwa die amerikanische Serie „The Fugitive“ mit David Janssen in der Hauptrolle. Die Geschichte des Dr. Kimble, eines Arztes, der unschuldig zum Tode verurteilt wird, weil man ihn fälschlich des Mordes an seiner Frau bezichtigt. Auf dem Weg zur Hinrichtung gelingt ihm die Flucht - und eine lange, beschwerliche Suche nach dem wahren Täter beginnt. Auch Serien wie Doctor Who, das britische Science-Fiction-Epos der BBC, fanden ihren Weg auf die Bildschirme. Ebenso Zeichentrickfilme - mit Figuren wie Mickey Mouse, dem ewigen Katz-und-Maus-Duell oder dem gehetzten Hasen und dem lauernden Wolf.

Der Fernsehapparat selbst wurde bald zu einem Gegenstand beinahe ritueller Verehrung. In den Pausen des Sendebetriebs bedeckten die Frauen das Gerät mit bestickten Tüchern, darauf arrangierten sie Vasen mit künstlichen Blumen - als wäre der Apparat ein heiliger Gast, der Ruhe verdient.

Mit der Zeit dehnten sich die Sendezeiten aus, und erste rein marokkanische Produktionen fanden ihren Weg auf den Bildschirm. Stücke der Theatergruppe Al Kawakeb unter der Leitung von Bouchaïb El Bidaoui, Aufführungen der Wafa-Truppe aus Marrakesch mit Mohamed El Bakkas und Abdeljabbar Louzir, Arbeiten der Truppe Al Maamoura oder Werke von Persönlichkeiten wie Mohamed Hassan El Joundi und Hammadi Ammour prägten das neue marokkanische Fernsehen. Hinzu kamen Fußballübertragungen, Sendungen zur andalusischen Musik sowie Kulturformate wie „Der Mittwochskoffer“ oder „Die junge Literatur“.

Dies alles führte zu einem ganz eigenen Wettbewerb - nicht auf dem Bildschirm, sondern unter den Nachbarinnen. Wohlhabendere Frauen begannen, ihre Männer mit Nachdruck zu bedrängen, endlich ein Fernsehgerät zu kaufen. Sie mobilisierten dabei ihr ganzes Repertoire an Überzeugungskunst - von Schmeicheleien über Andeutungen, poetische Vergleiche bis hin zu den stillen Waffen der Zweisamkeit. Manche boten an, auf andere Haushaltsanschaffungen zu verzichten oder sogar vorhandenes Inventar zu verkaufen, um den Ehemann beim Kauf finanziell zu unterstützen. Und so gelang es nicht wenigen, ihre Männer zu überzeugen oder unter sanften Druck zu setzen - insbesondere jene, deren Ehemänner dem Fußball verfallen waren. Dort genügte ein gezielter Hinweis auf die Möglichkeit, Spiele endlich bequem von zu Hause aus sehen zu können, um den Wunsch nach dem eigenen Gerät Wirklichkeit werden zu lassen.

Dieses Ereignis war ein Meilenstein, der viele Maßstäbe veränderte. Als das marokkanische Fernsehen begann, die Samstagabend-Programme auszustrahlen, waren diese besondere Höhepunkte. Dabei traten die Musikgruppen von Fès unter der Leitung von Ahmed Al-Schajii, die von Meknès mit Mohammed Ben Abdessalam sowie die nationale Gruppe des Rundfunks und Fernsehens in Rabat auf. Zudem kamen Sänger aus arabischen Ländern wie Algerien, Tunesien und Ägypten zu Gast, allen voran Umm Kulthum, die nach ihrem ersten Besuch in Marokko im Jahr 1968 einen bleibenden Eindruck hinterließ.

Auch die jährliche Fernseherinnerungssendung hatte einen besonderen Stellenwert. Sie zeichnete sich durch eine ausgelassene Stimmung und Humor aus, indem Rollen vertauscht und Karikaturen bekannter Persönlichkeiten gespielt wurden. Durch diese Abendveranstaltungen wurde das Fernsehen für seine Besitzer zu einer gewichtigen Verpflichtung. Die Samstagabende, insbesondere die Sendung mit Umm Kulthum, entwickelten sich zum wöchentlichen Ritual. Besitzer eines Fernsehgerätes wurden zum Zentrum von Besuchern aus ihrem Freundes- und Familienkreis, die selbst noch keinen Fernseher besaßen. Sie kamen in Gruppen, einzeln oder mit der ganzen Familie, Groß und Klein, um gemeinsam die wöchentliche Sendung zu sehen. Die Wohnzimmer füllten sich bis auf den letzten Platz, besonders der Raum mit dem Fernseher.

Gemäß den traditionellen Gepflogenheiten bereitete die Hausherrin Tee und die dazugehörigen marokkanischen Süßigkeiten vor. Diese ungewöhnliche Versammlung dauerte oft bis spät in die Nacht. Wenn die Sendung mit der Nationalhymne endete, verließen die Gäste das Haus, in dem sie zu Besuch gewesen waren, ähnlich wie ein Kinosaal, der sich nach der Vorstellung leert. Die Kinder taumelten schlaftrunken davon, die Jüngsten wurden schlafend oder halb schlafend auf den Rücken der Mütter oder Schultern der Väter getragen. Besonders in der kalten Jahreszeit war dieses Verlassen mühsam und beschwerlich. Doch all dies wurde in Kauf genommen, um die Enttäuschung zu vermeiden, wenn an einem Samstag statt der großen Sendung nur ein Jazzprogramm angekündigt wurde. Dann schalteten viele Zuschauer frühzeitig aus und gingen schlafen, während die wenigen Interessierten bei der Musik blieben.

Mit dem Einzug dieses mächtigen Elements in ihr Leben änderten sich die täglichen Abläufe der Menschen grundlegend. Sie klammerten sich an das Fernsehen wie an eine Sucht, die langsam ihre Erinnerungen überlagerte und die Rhythmen und Gewohnheiten ihrer abendlichen Traditionen durchbrach, die über Generationen hinweg gepflegt worden waren. War es zuvor üblich, sich jeden Abend um die Großväter und Großmütter zu versammeln, um Geschichten und Legenden zu hören, oder sich vor dem Radio zu sammeln, um Serien und Hörspiele wie „Die Reise von Ali Ben Schama“ oder „Die Kupferstadt“ zu verfolgen - und dabei die Figuren, Orte und Ereignisse mit der eigenen Fantasie zu gestalten; oder den „Stimmen Arabiens“ aus Kairo und der BBC-Arabischen Abteilung in London zu lauschen -, so begann man nun, sich auf ausländische und ägyptische Serien zu stürzen, die fertige, moderne Märchen von A bis Z präsentierten, die keine Vorstellungskraft mehr erforderten.

Das Fernsehen ersetzte das Radio und wurde zu einem ständigen Begleiter in den Häusern, egal ob die Menschen bewusst zusahen oder nicht. Ob beim Essen oder im Gespräch - selbst wenn sie nicht aktiv zuhörten, musste das Gerät laufen, um „Lärm zu machen“, wie man sagte. Manchmal gerieten die Menschen in Panik, wenn der Strom ausfiel. Dann eilten sie zu denen, die ein Telefon besaßen, oder zum Telefon des „Bakkal“ (Lebensmittelhändlers), um Kontakt zum „Haus des Lichts“ aufzunehmen und einen Ansprechpartner für das Stromausfall-Problem zu finden.

War das Fernsehsignal schlecht und das Bild mehr oder weniger unscharf, bildeten die Familienmänner und -frauen eine „Leitungskette“ innerhalb des Hauses. Der Erste stand vor dem Gerät und gab Anweisungen weiter, die sich durch die Familienmitglieder bis zum Dach und schließlich zur Antenne auf dem Dachboden erstreckten. Dort wurde die Ausrichtung der Antenne feinjustiert, bis der erste Beobachter zufrieden war. Dann endete das technische Abenteuer mit einem Erfolg oder einer zumindest teilweisen Verbesserung. Diese Szene hat der Regisseur Mohammed Abd al-Rahman al-Tazi realistisch-komisch im ersten Teil seines Films „Die Suche nach dem Ehemann für meine Frau“ dargestellt, in dem Mohammed Afifi die Aufgabe übernimmt, das Fernsehbild einzustellen.

Das marokkanische Fernsehen entwickelte sich weiter und begann 1973 in Farbe auszustrahlen. Die Beziehung des Publikums zum Medium veränderte sich, und die Größe der Antennen sowie die der Geräte schrumpfte. Zugleich verlor der erste Kanal seinen einstigen Glanz, der ihn in den 1960er-Jahren begleitete.

1978 wurde der marokkanische Rundfunk zur staatlichen Institution umgewandelt und erhielt den Namen „Société Nationale de Radiodiffusion et de Télévision“ mit dem neuen Kürzel „SNRT“. Sie wurde in die zentrale Verwaltung des Kommunikationsministeriums eingegliedert. Intellektuelle nannten das Unternehmen scherzhaft „itm“ (Sünde: abgeleitet aus den arabischen Anfangsbuchtacben für RadioTVMaroc), während die einfachen Bürger begannen, Aluminiumsiebkörbe an die Antennen zu hängen, in der Hoffnung, den Empfang zu verbessern. Man munkelte sogar, dass man durch die Löcher der Siebe in andere, noch ausstehende Senderwelten eindringen könnte.

 

Geschichtlicher Überblick
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