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Fes, Labyrinth der Sinnlichkeit - Marktbesuch für alle Sinne

Seite 2 von 5: Marktbesuch für alle Sinne

Marktbesuch für alle Sinne

Fes: Labyrinth der Sinnlichkeit, Bab Bujloud, Foto: Fes, Medina von Eberhard Hahne

Nach etlichen weiteren Marktbesuchen scheint die Talsohle und damit das Zentrum der Altstadt erreicht zu sein. Die Gassen werden eben, die Waren der Buden wertvoller, das Gedränge aus Kaftanen, Djellabas, Karren und Eseln erschwert es, mit Abdallah Schritt zu halten. Devotionalienläden bieten Kerzen, Duftwässerchen, Weihrauch und Räucherstäbchen an. Hier im Herzen und ältesten Teil der Medina, unweit des Qued Fès, befinden sich dichtgedrängt die bedeutendsten Heiligtümer, Monumente und Sehenswürdigkeiten der Stadt. War bislang noch eine gewisse Orientierung anhand der Hauptstraße möglich, endet diese abrupt vor den bronzenen Toren der Medersa Attarine,  einer islamischen Hochschule, und zerläuft in einem unentwirrbaren Gassenknäuel.

Der Torwächter begrüßt Abdallah wie einen alten Freund, führt die drei Finger der Grußhand zum Herz, küsst sie und erkundigt sich ausgiebig nach dem Befinden der Familie, bevor er die Pforten der schönsten Medersa von Fès öffnet. Ich stocke, geblendet vom grellen Licht des Himmels und der Wände. Vergebens suchen die Augen nackte Flächen, jeder Zentimeter Wand ist mit feinsten Gipsornamenten, geschnitzter Kalligraphie oder verwirrenden Mosaikmustern überzogen. Von den Gängen der 1325 erbauten Hochschule hängen Tausende von holz- und gipsgeschnitzten Tromben in den Raum.  Eine Brunnenschale aus Alabaster in Form einer Blüte zirkelt den stillen Innenhof. Die Böden sind mit Marmor oder Onyx gepflastert. Zedernholzschnitzereien umranden die Fenster der kleinen Klausen im Obergeschoss. Hier wohnten und lernten seit dem späten Mittelalter Generationen von Studenten, teilweise ihr Leben lang.

Es riecht abwechselnd nach Leder, Oliven, Melonen und Zedernholz

Fes: Labyrinth der Sinnlichkeit, Hassan al Gnaoui Gewuerzhaendler, Foto: Eberhard HahneSilberne Teekannen blenden die Augen, Falken und Chamäleons in kleinen Holzkäfigen buhlen um Aufmerksamkeit. Ein bärtiger Alter mit golddurchwirktem Turban biegt auf einem Eselchen reitend um die Ecke. In der drangvollen Enge der mit Schilf- oder Bambusmatten beschatteten Marktgässchen herrscht eine merkwürdig heiter-entspannte Stimmung. „Den Gewinn verteilt Allah allein“, heißt es im Koran. Konkurrenzdenken ist hier unbekannt. „Die Souks sind für uns neben der Moschee der wichtigste Treffpunkt. Hier erfahren wir Neuigkeiten, treffen Freunde, machen unsere Geschäfte“, sagt Hassan Graoui, ein Gewürzhändler auf der Talaa Kbria. Seine Gewürzmischung Ras el Hanout sei die Beste der Medina, versichert er, und bestehe aus 24 verschiedenen Gewürzen. Auf die Frage, um welche es sich handele, winkt er verschmitzt mit erhobenem Zeigefinger ab. Dies sei ein sehr altes Familiengeheimnis. Er macht auf eine mit Mosaiken kunstvoll geschmückte Nische an der gegenüberliegenden Gassenwand aufmerksam und übersetzt die Inschrift der Marmortafel: „Gott mache diese Stadt zu einem Haus des Wissens und der Gesetzeskunde. Auf dass in ihr stets dein Buch gelesen und deine Gesetze befolgt werden. Lass ihre Bewohner sich am Buche und am heiligen Brauche festhalten, solange, als du sie erhältst.“ Mit diesem Segensspruch soll vor 1.200 Jahren genau hier Idriss II., ein Nachfahre des Propheten Mohammed, das Madinat al Fas gegründet haben.

Der Weg hinab ins Herz der Altstadt wird immer steiler, das Gedränge nimmt zu, er scheint kein Ende zu nehmen. Eselstreiber fordern mit „Balek-Balek“-Rufen Raum für ihre Tragetiere, welche seit Jahrhunderten den Transport sämtlicher Güter der Medina erledigen. In einem Antikladen, vollgestopft wie Ali Babas Höhle, erstehe ich nach drei Gläsern Minztee und zähen Verhandlungen eine schwere silberne Berberkette für die Hälfte des ursprünglichen Preises. „Den Gewinn verteilt Allah allein“, denke ich. Abdallah erklärt später: „Das bei euch so berüchtigte Feilschen ist für uns eine hohe Kunst. Wir manövrieren damit zwischen einem guten Geschäft und einem guten Ruf.“ Intensives Handeln bezeugt auch das Interesse und den Respekt gegenüber Ware und Händler.

Allerdings macht der zunehmende Strom an leichtgläubigen Touristen es vielen Händlern schwer, sich an die traditionellen Werte zu erinnern.

 

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