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Rohlfs-Reise durch Marokko - Ein historisches Zeugnis neu gelesen

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Gerhard Rohlfs war einer der ersten Europäer, der das Marokko des 19. Jahrhunderts nicht nur streifte, sondern durchwanderte - verkleidet, verletzlich, neugierig und in vielem noch unerfahren unterwegs. Seine Reiseberichte zeigen ein Land im Wandel und einen Beobachter, der staunen kann und doch in den Mustern seiner Zeit gefangen bleibt.

Rohlfs Reise durch Marokko, BuchcoverEs gibt Reiseberichte, die man liest wie alte Karten: verblasst, ungenau, vom Staub der Zeit bedeckt. Und es gibt solche, die selbst nach anderthalb Jahrhunderten eine Kraft besitzen, die nicht aus ihren Beschreibungen stammt, sondern aus der eigentümlichen Nähe, die sie herstellen - zwischen der Gegenwart und einem Land, das gerade dabei war, sich neu zu erfinden. Die beiden Marokko-Bücher Gerhard Rohlfs gehören zu dieser seltenen Art von Texten. Sie zeigen nicht nur Wege, Städte und Landschaften, sondern ein ganzes Geflecht aus Begegnungen, Irrtümern, Mut, Missverständnissen und Momenten echter Nähe.

Doch ebenso wichtig wie der Originalton des Autors ist der Blick, mit dem ein marokkanischer Leser diese Zeilen heute aufnehmen kann. Idriss Al-Jay, Übersetzer und kritischer Intellektueller, hat die Werke nicht verändert, sondern sie in die Sprache und damit in den Erfahrungshorizont eines arabischsprachigen Publikums zurückgeführt. Dabei lässt er Rohlfs’ Worte unverändert stehen, entschuldigt sie nicht und überhöht sie nicht, sondern macht sichtbar, wo der Reisende genau beobachtet – und wo seine Sprache die Begrenzungen seiner Zeit verrät. So entsteht keine zweite Interpretation, sondern eine Form der Gegenwart, in der ein deutscher Arzt des 19. Jahrhunderts und ein moderner marokkanischer Leser aufeinander treffen, ohne sich je begegnet zu sein.

Die folgenden Seiten sind keine nostalgische Rückschau und keine bloße Beschreibung einer Expedition. Sie erzählen von einer Zeit, in der Reisen immer ein Überschreiten von Grenzen war - geografisch, politisch und kulturell. Und sie zeigen, wie sehr der Blick auf ein Land davon geprägt ist, wer ihn formuliert und wer ihn später wiedergibt.

Wer diesen Text liest, wird Marokko nicht nur mit Rohlfs’ Augen sehen. Er wird zugleich die Distanz spüren, aus der er schrieb - und die Nähe, die Al-Jay ihm verleiht, indem er ihn zurück in die Sprache dieses Landes holt. In dieser Spannung liegt der Reiz. Und vielleicht ist es genau diese Spannung, die sein Werk heute aktueller macht, als es vielleicht je gedacht war.

 

Rohlfs’ Blick auf Marokko
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