Flucht ohne Wiederkehr: Zwischen Angst und Freiheit - Zwischen Licht und Schatten
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Zwischen Licht und Schatten
Doch dann - als hätte sich die Hölle selbst aufgetan - wurde die Stille zerrissen. Ein zorniges, brodelndes Grollen erhob sich aus den Ecken der Halle, ein Sturm aus lallenden Beschimpfungen, das Brüllen Betrunkener, ein tobendes Chaos, das jeden Moment den Raum zu verschlingen drohte. Und hinter Souad, wie ein Schatten, stand Fahd. Er packte sie mit brutaler Härte, als würden seine Klauen sich in ihr Fleisch graben. Zog sie mit unbändiger Kraft an sich, als wolle er sie in seinem gierigen Rachen verschlingen und weit fortschleudern - fort von diesem Ort, fort von den Klängen ihres Mawal [„موال“ Eine poetische, emotionale Darbietung, die häufig als Einleitung zu einem Lied oder als eigenständige musikalische Darbietung gesungen wird.], das seine inneren Dämonen entfesselt hatte. Doch sie rührte sich nicht. Sie stand da, reglos, verwurzelt in den Boden, als trotze sie ihm, als flüstere sie ihm ohne Worte zu: Ich gehe nicht.
Da riss er sie los, brutal, rücksichtslos, schleifte sie an ihrem Handgelenk hinter sich her, als hätte sie kein Gewicht, kein Wesen, keine Existenz. Suleiman beobachtete die Szene, erstarrt, gelähmt, als wäre sein Körper nicht mehr sein eigener. Sollte er sich dem rasenden Tier entgegenstellen oder in der Stille Zuflucht suchen?
Fahd schleppte sie hinauf in sein Büro. Mit einer einzigen Bewegung warf er sie in den Raum, schlug die Tür hinter sich zu, so heftig, dass die Wände bebten und die Fensterscheiben fast zersprangen. Er brauchte seine Hand nicht zu erheben - seine Stimme allein war Peitsche genug. „Wer hat dir erlaubt, die Regeln des Cabarets zu brechen? Wir sind hier zum Vergnügen, zum Lachen, um die Begierden der Gäste zu stillen! Wer gab dir das Recht, deine Sorgen in Gegenwart Fremder zu besingen? Für wen singst du, als würdest du ihm dein Herz schenken?! Du weißt genau, du gehörst mir! Mir allein! Ich entscheide, mit wem du deine Nächte verbringst, so wie all die anderen! Ich allein habe dieses Cabaret zu dem gemacht, was es ist! Hast du gesehen, was du angerichtet hast? Die ganze Halle hat getobt wegen dir! Hast du die Kontrolle verloren, du Schlampe? Hast du vergessen, dass ich dich hierhergebracht habe, dass ich dich zu dem gemacht habe, was du bist?“
Die Worte brachen aus seinen gesprungenen Lippen, unkontrolliert, gesättigt mit der Wut eines Mannes, der seine Würde schon längst verloren hatte. Er war erfüllt von Groll, von Bitterkeit, von einem Schmerz, den er hinter seiner Härte zu verstecken suchte.
Fahd griff nach einem Glas auf seinem Schreibtisch und schleuderte es mit voller Wucht auf den Boden. Die Scherben flogen in alle Richtungen, glitzerten im Halbdunkel, zerschnitten die Stille wie scharfkantige Splitter der Realität. Souad zuckte zusammen, ein Schauder lief ihr über den Rücken. Angst kroch in jede Faser ihres Körpers, ließ ihn erstarren. Sie duckte sich unter den Schreibtisch, zog die Knie an sich, während ihre Schultern bebten.
Jedes Mal, wenn seine Wut eskalierte, verstärkte sich ihr Zittern. Tränen liefen ihr über die Wangen, ihr Schluchzen durchbrach die beklemmende Stille - ein letzter, verzweifelter Versuch, ihn zur Besinnung zu bringen. Doch Fahd war ein entfesselter Stier, ein Berserker, gefangen in seinem eigenen Sturm. Er presste beide Hände gegen seine Schläfen, seine heisere Stimme war kaum mehr als ein Keuchen: „Nur eine einzige Minute der Stille… Schweig… Schweig…!“
Dann - nichts. Ein Schweigen, so dicht und erdrückend, dass es die Luft aus dem Raum zu saugen schien. Zwei Minuten, die sich wie zwei Stunden anfühlten.
Souad kauerte weiterhin unter dem Tisch, wagte kaum zu atmen. Ab und zu hob sie vorsichtig den Blick, suchte nach einem Zeichen, nach einer Veränderung. Doch Fahd lag reglos am Boden, ausgestreckt in der Nähe der Tür - als hätte ihn eine unsichtbare Kraft in eine andere Welt gestoßen. War er tot?
Zögernd, mit klopfendem Herzen, kroch sie auf allen Vieren näher. Ihre Hände zitterten, als sie sich über ihn beugte, als könnte ihre Berührung den unausweichlichen Moment besiegeln. Sie wusste, wie viel von der Droge in seinen Körper gelangt war - eine Dosis, die selbst einen amerikanischen Bison zu Fall bringen würde. Ihre Finger glitten über seine Brust, suchten nach einem Lebenszeichen, nach dem sanften Hauch eines Atems. Nichts. Die Luft um ihn war still, regungslos, leer. Dann, ganz plötzlich - ein unregelmäßiges, schwaches Pochen. Sein Herz schlug noch. Die Stille wurde immer schwerer.
Die gedämpften Lichter warfen lange Schatten auf die unzähligen Flaschen in der kleinen Bar in der Ecke des Büros. Ihre Reflexionen flackerten gespenstisch in den Glasflächen. Ein Gedanke durchzuckte Souads Verstand. „Ist er tot?“
Doch es blieb keine Zeit für Schockstarre. Sie packte sein Gesicht, schlug erst sanft, dann fester gegen seine Wangen. Ihre Stimme überschlug sich, getränkt von Panik, von Verzweiflung. „Fahd… bitte… wach auf! Fahd, was ist mit dir?! Fahd… Fahd!“
Sie packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn - keine Reaktion. Ihr Blick irrte durch den Raum, doch sie sah nichts außer flackernden Schatten. War das das Ende? Sollte sie um Hilfe rufen? Vielleicht Suleiman - der Mann, den sie erst vor Kurzem im Cabaret getroffen hatte. Nein! Sie umfasste sein Gesicht, hielt es zwischen ihren Händen, presste ihr Ohr gegen seine Brust. Nichts. Nur Stille. Fahd war irgendwo zwischen Leben und Tod gefangen - an einem Ort, wo Zeit keine Bedeutung hatte, wo es keinen Schmerz, keine Angst gab. Nur das große, endlose Nichts.
Dann - ein Hauch. Ein kaum hörbares Flüstern aus der Dunkelheit. Und plötzlich - ein Keuchen. Sein Körper zuckte heftig. Luft strömte ruckartig in seine Lungen, als wäre es sein erster Atemzug seit einer Ewigkeit. Seine Brust hob sich mit roher Kraft, seine Brauen verzogen sich in schmerzhaftem Zusammenziehen, dann - riss er die Augen auf. Das Licht war schwach, flackernd. Doch selbst das brannte in seinen Augen wie tausend Nadelstiche. Er war zurückgekehrt - aus dem Nichts.
Langsam hob er den Kopf, seine Stimme war rau, kaum mehr als ein Hauch: „Was… machst du hier?“ Souad antwortete nicht sofort. Sie starrte ihn an, versuchte zu begreifen, ob das, was geschah, Wirklichkeit war oder nur eine grausame Täuschung. Ein Gedanke zuckte durch ihren Verstand: „Scherzt er…?“