Die Macht des Erzählens: Zwischen der Hexe Aqissa und der Waldhexe
Zwischen den Gassen von Aghmat und den Hörsälen Düsseldorfs, zwischen der marokkanischen Heuschrecke Aqissa (عقيسة) und der deutschen Waldhexe: Ein Erzähler überschreitet Grenzen - nicht politisch, sondern poetisch.
Es beginnt mit einer Kindheit in einem kleinen Ort am Rand des Hohen Atlas, in einer Welt, in der Geschichten nicht gelesen, sondern gesprochen wurden. Die Worte lebten dort nicht zwischen Buchdeckeln, sondern auf Plätzen, in Stimmen, in Gesten. Doch diese Geschichte handelt nicht nur von Herkunft, sondern von Bewegung - von einer Reise, die nicht allein geographisch, sondern vor allem innerlich vollzogen wurde.
Was geschieht, wenn jemand mit der Sprache der Erzählung aufwächst und in eine Welt eintritt, in der Sprache vor allem der Funktion dient? Wenn ein Mensch zwischen zwei Welten lebt: der bildhaften, mündlichen Überlieferung seiner Heimat - und der strukturierten, sachlich geprägten Ausdrucksweise seines Gastlandes?
Mustafa Ben Bouzekri war nicht nur Wanderer zwischen Sprachen und Ländern, sondern vor allem ein Brückenbauer zwischen Kulturen. Er ließ sich nicht zwischen zwei Identitäten aufreiben - er verknüpfte sie. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist nicht bloß biografisch, sondern beispielhaft: Sie zeigt, wie Erzählungen dazu fähig sind, nicht nur Geschichten zu überliefern, sondern Räume zu öffnen - für Begegnung, Verständnis und Erinnerung.
In einer Zeit, in der das Trennende oft lauter scheint als das Gemeinsame, erinnert Mustafas Weg daran, dass Erzählungen keine Passkontrolle kennen. Dass eine Heuschrecke aus einem marokkanischen Märchen ebenso tief in die menschliche Erfahrung eintauchen kann wie eine Hexe im deutschen Tannenwald. Und dass das Zuhören eine Form des Respekts ist - vielleicht sogar die wichtigste.