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Jeder hat sein eigenes Grab - Identität zwischen Heimat und Exil

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Nach seinen erfolgreichen dokumentarischen Filmprojekten über Frauen in Deutschland und Marokko wagt sich der marokkanische Regisseur Mohammed Nabil in Berlin auf die Theaterbühne. In seinem Stück „Jeder hat sein eigenes Grab“, das er selbst schrieb und inszenierte, untersucht er das Spannungsfeld von Identität, Zugehörigkeit und Entfremdung - Themen, die auch seine bisherigen Arbeiten prägten.

Im Mittelpunkt stehen zwei Schwestern, die sich nach dem Tod ihres Vaters im Leichenschauhaus begegnen. Der Vater, ein Migrant, hat lange im Ausland gelebt. Nun streiten die Töchter darüber, wo er beerdigt werden soll: in der alten Heimat oder im Land, das zu seiner neuen Heimat geworden ist. Aus dieser scheinbar praktischen Frage entwickelt sich ein intensiver Dialog über Wurzeln, Selbstverständnis und die Suche nach einer inneren Heimat.

Die Schwestern vertreten dabei entgegengesetzte Vorstellungen davon, was Zugehörigkeit bedeutet: Für die eine ist die Bestattung in der Heimat des Vaters ein letzter Akt der Rückkehr und des Friedens mit den eigenen Wurzeln. Für die andere markiert das Grab in der Fremde die Anerkennung einer neuen Realität, jener des gelebten Exils. So wird der Leichnam selbst zum Symbol eines Identitätskonflikts, den viele Migranten kennen - fremd im Herkunftsland und doch nie ganz angekommen im neuen Zuhause.

Das Wiedersehen der Schwestern verläuft kühl und distanziert. Es wird kein Ort des gemeinsamen Abschieds, sondern ein Schauplatz innerer Zerrissenheit. Der Dialog zwischen ihnen spiegelt den existenziellen Konflikt des modernen Menschen: Wer bin ich - und wohin gehöre ich?

Schauplatz ist das „Haus der Toten“, ein Ort ohne Namen, wo Särge nummeriert und der Tod zur anonymen Routine wird. Zwischen Dunkelheit und Stille erscheinen Lichter, Musik und die tanzende Seele des Verstorbenen - eine poetische Erinnerung daran, dass Identität selbst über den Tod hinaus ein offener Prozess bleibt.

Mit „Jeder hat sein eigenes Grab“ erweitert Mohammed Nabil seine Auseinandersetzung mit Migration, Weiblichkeit und Entwurzelung. Sein Theater ist weder Anklage noch Trost, sondern eine Einladung, über Leben, Tod und Zugehörigkeit nachzudenken - über den Ort, an dem wir uns selbst begraben, um neu geboren zu werden.

 

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