Künstlerresidenz Le Real Mogador in Essaouira
Mogador - das heutige Essaouira, etablierte sich seit seines Gründungsjahres 1.765 zu einem Kreuzungspunkt von Handels-, Land- und Seerouten. Die Entwicklung zum ersten marokkanischen Hafen, der mit der nicht-islamischen Welt Handel trieb, wurde 1.773 durch den Alawiten-Sultan Mohamed Ben Abdallah gefördert, der Ausländern den Zugang nach Santa Cruz (Agadir) verbot.
Nicht weiter verwunderlich, dass sich in diesem Zusammenhang europäische Konsulate (Briten, Dänen, Holländer, Franzosen, Deutsche, Italiener, Portugiesen, Spanier) in der Kasbah ansiedelten. Nicht alle fühlten sich in der neuen Hafenstadt wohl, liest man die Worte des dänischen Konsuls Barisien: An diesem Ort gibt es nichts als Steine, Sand und Wind.
Handel und Gewerbe blühten auf, Essaouira wurde zum Treffpunkt vieler Kulturen. Sicher konnten andere Reisende ähnlich positive Erlebnisse wie Charles de Foucauld am 28. Januar 1884 berichten: Sofort nach meiner Ankunft ging ich zum französischen Konsulat. Dort wurde ich vom Kanzler, Herrn Montel, empfangen. Was Herr Montel während meines Aufenthalts in Mogador für mich bedeutete und welche Dienste er mir leistete, kann nicht in Worte gefasst werden. Möge jeder Reisende in einer solchen Situation auf den gleichen Empfang, die gleiche Sympathie und die gleiche Unterstützung stoßen! Glücklich sind diejenigen, deren Land von ähnlichen Männern vertreten wird, in denen ein unbekannter Landsmann vom ersten Tag an mit dem Wohlwollen und dem Schutz des Magistrats, die Erwartung eines Freundes findet.
Streift man heute durch Essaouira, fällt es nicht ganz leicht, diese einst ehrwürdigen Residenzen zu finden. Einige Details, handgemalte Tafeln lassen bei etwas Einsatz noch den ehemaligen Charme erspüren. Positiv bei der Suche sticht dabei die Galerie Le Real Mogador hervor, vergangene Wirkungsstätte des italienischen Konsuls. In der Rue Mehdi ben Toumert betritt man durch eine massive zweiflüglige, von einer Sandsteinzarge eingefassten Tür die Galerie, befindet sich plötzlich in einer anderen Welt. Das quirlige Treiben Essaouiras reicht nicht bis in den von Säulen umgebenen Innenhof mit dem wunderbar farbig gestalteten Fußboden. Noch während Blicke staunend schweifen, gewahrt man den still an einem Arbeitstisch sitzenden Galeristen François Real, lächelnd heißt er Besucher willkommen.
Es braucht viel Zeit, bis die Augen alles entdeckt haben. Da sind nicht nur die kunterbunten Skulpturen im Innenhof, in den angrenzenden Räumen hängen sparsam Kunstwerke an den Wänden, jede Decke, jeder Fußboden ist in anderen Farben gestaltet, in den Zimmerecken eingebaut sind phantasievolle Kamine. Vor dem Gang in die erste Etage bittet François Real darum, Türen sorgfältig zu schließen, um Essaouiras ständig wachsende Katzenpopulation aus den oberen Etagen auszusperren.
Große Holzrahmen an der Balustrade der ersten Etage mit mosaikähnlich angeordneten bunten Glaselementen sorgen bei Sonnenschein für ein Farbfeuerwerk im Hof, rankende Pflanzen zaubern eine gemütliche Atmosphäre. Der Blick durch ein geöffnetes Fenster verblüfft: ein lachsfarbenes rundes Waschbecken steht auf zwei Beinen mitten im Raum…
Gern ist François Real zu einem Gespräch bereit, hat er doch schon längst gespürt, dass sich der Besuch zu mehr als einem flüchtigen Durchstreifen der Galerie entwickelt. Und so schließt sich an das historische Interesse der Konsulatsgeschichte ein spannendes und aktuelles Interview an.
François, 1962 in Grenoble, Frankreich inmitten der Berge geboren, verdankt seine Kreativität dem Einsatz seiner Mutter, die u.a. ihre Kinder Weihnachtsgeschenke für die große Familie basteln ließ und ihren Sohn in einem Malkurs anmeldete. Seine bewegten Bilder erregten dort bald Aufsehen. Leider zerstörte die Schizophrenie seines Vaters und der frühe Tod der Mutter die Familienidylle, so dass François beizeiten lernen musste, auf eigenen Füßen zu stehen. Trotz seines brillanten Abschlusses in Wirtschaftswissenschaften lehnt er eine Professur mit den Worten ab: weil ich mein Leben nicht damit verbringen wollte, "Papier zu kratzen", und vor allem, weil meine Freiheit für mich das wertvollste Gut war.
Sein Promotionsthema Wassermanagement führte ihn nach Schwarzafrika, Burkina Faso, Mali und Niger. Rückblickend erklärt François: Meine physische Begegnung mit Afrika war gewaltig. Ich war 23 Jahre alt. Diese Studien- und Entdeckungsreise eröffnete mir eine andere Welt, die mich schon lange beschäftigte. Diese Welt lässt ihn fortan nicht mehr los, obwohl er erst einen Umweg auf einen anderen Kontinent wählt. Der sich stets auf der Suche befindende François legt eine Zwischenstation in Argentinien ein, lässt sich auf einem ca. 10 ha großen Weinberg nieder und stürzte sich in das Studium der Önologie [Weinbaukunde]. Zwei außergewöhnliche Jahre folgen, die François resümiert: Ich habe hart gearbeitet, wie ein Verrückter, aber es war toll, ein ganz neues Feld zu entdecken, das von der Erde über den Wein bis hin zum Anbau und der Pflanzung von Reben in Verbindung mit dem Boden, den Pfropfreisern und den Edelreisern reichte.
Ein so wissbegieriger und umtriebiger Mensch muss sich schon die Frage gefallen lassen, was denn die beste Entscheidung in seiner beruflichen Laufbahn gewesen sei. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: Ich habe Stipendien und andere Zuwendungen abgelehnt, um frei und unabhängig zu bleiben! Dadurch habe ich Frédéric kennengelernt, mit dem ich Etni-Tecni gegründet habe. Aber Freiheit ist sehr teuer, jeden Tag, weil sie nicht in die Norm passt! Freiheit weckt Neid und Missgunst...
Und wie kommt nun ein gebürtiger Franzose, der eine Zeitlang in Argentinien gelebt hat zu einem Haus in Essaouira? Hier wird wieder der Name Frédéric aktuell. Zwei kreative Menschen – eine gemeinsame Idee: Etni-Tecni. Schwerpunktmäßig arbeiteten sie mit westafrikanischen Kunsthandwerkern zusammen um deren Traditionen am Leben zu erhalten, vertreiben die sorgfältig ausgewählten Produkte weltweit. Marokko lag anfangs nur am Rande, so erklärt es François heute. Unterwegs mit Royal Air Maroc diente ab und an ein Zwischenstopp in Marokko dem Aufenthalt im damals noch beschaulichen Fischerort Essaouira.
Das ist auch der Schlüssel für den Erwerb des historischen Gebäudes. Wir sind beim Erzählen mittlerweile in der zweiten Etage angekommen, der Wohnetage von François. Bereitwillig führt er uns in alle Räume. Die unterschiedliche Gestaltung der Decken und Böden setzt sich fort, farbliche Konzepte dafür entwarf François selbst und leitete die entsprechenden Handwerker bei der Umsetzung an. Liebevoll gestaltete Elemente und große Bilder an den Wänden verraten sein künstlerisches Geschick. Denn es findet sich nichts „von der Stange“ in seinen Räumen, alles ist selber gestaltet, den Räumen angepasst. Am liebsten möchte man sofort hier einziehen bei dem ausgestrahlten Charme.
Das war aber nicht immer so, berichtet uns François. Während einer langen Wartezeit auf einen Lieferanten schaute er sich in Essaouira zum Zeitvertreib Häuser an und erwarb 2001 das heutige Kunstzentrum Le Real Mogador. Sein persönlicher Rückblick: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es der Zufall, die Ungewissheit über meine Zukunft und ... die Müdigkeit nach einem Tag voller Besichtigungen waren, die mich dazu gebracht haben, dieses Gebäude zu kaufen! In diesem Sinne hätte ich mir an jenem Tag besser nicht nur ein, sondern gleich zwei Beine brechen sollen! …
Damals wurde die erste Etage von der Familie eines Erben bewohnt, der Rest des Hauses war an 15 verschiedene Vermieter abgegeben, von denen jeder bis zu 50 Fischer beherbergen konnte… Jedes Fleckchen war extrem belegt, voneinander abgeschottet, Gänge auf den Etagen geschlossen, so dass es unmöglich war, das Gebäude in seiner Gesamtheit zu erkennen. Selbst ein erfahrener italienischer Architekt übersieht bei der Erstellung des ersten Planes ein Zimmer.
Nach und nach zeigt das Haus sein wahres Gesicht, bereinigt von überflüssigen Wänden, zentimeterdicken Putzschichten und Räumen voller Spinnweben. So beginnt die Arbeit Strukturen anzunehmen, Pläne entstehen, Strom und Wasseranschlüsse werden gelegt.
Schmunzelnd erklärt François, dass er sich phasenweise wie in China vorkam, weil eine so große Schar Handwerker durch das Haus wuselte. Inspiriert durch Ideen seiner Freunde entsteht im Erdgeschoss das Restaurant Le Homard Maâjouné, in Kombination mit Kunstausstellungen und einigen Gästezimmern in der ersten Etage - wieder ein neuer und mutiger Schritt des heutigen Galeristen.
Doch François wächst mit seinen Aufgaben, beschäftigt einen Stab Mitarbeiter, die er selbst anlernt, sein Restaurant entwickelt sich zum berühmtesten in Essaouira. Den Schlag eines korrupten Gouverneurs sieht er nicht kommen, muss betroffen miterleben, wie der sein Restaurant schließt, da es ihm nicht zu einem Spottpreis überlassen wird.
François kehrt Essaouira für einige Jahre den Rücken, plant bei seiner Rückkehr, das Haus zu verkaufen, entscheidet sich schließlich doch anders: Dieser Ort, den ich geschaffen und zu neuem Leben erweckt habe, ist so außergewöhnlich, dass ich noch einmal von vorne angefangen habe. Der Kunstliebhaber lässt ein Kunstzentrum - einen Ort für Musikaufführungen und Kunstinstallationen entstehen. Auf die Frage, welche Künstler ihre Werke bei ihm ausstellen und wie er sie kennenlernt, antwortet François: Die einzigen Kriterien, um bei mir auszustellen, sind, dass mir die Arbeit UND der Künstler als Mensch gefällt. Viel Freude bereitet ihm die Begegnung mit den Künstlern, die Auswahl ihrer Werke, die Organisation der Ausstellung - kurz gesagt: Kurator sein.
Gefragt nach Plänen für ein nächstes Projekt schaut François eine Weile sinnend in den Himmel, bevor er antwortet. Ein Glasdach in aerodynamischer Form hat er für seinen heute offenen Innenhof entworfen. Dazu fehlt jetzt aber das Geld - über die Gründe schweigt sich der Galerist diesmal dezent aus… und äußert sich dann auf seine Person bezogen: Ich möchte meine Freiheit zurück. Es ist nicht mein Schicksal, in einem religiösen Staat zu bleiben, denn ich bin Atheist und durch und durch säkular.
Belastbar sein, kreativ bleiben, nicht käuflich zu sein sind die drei Eigenschaften, für die er am dankbarsten in seinem bisherigen Leben ist. Da ordnet sich sicher auch sein Traum ein, einen Roman zu schreiben. Für seine Realisierung ist François noch in der Aufbauphase, nach deren Abschluss er sich an die Arbeit machen will. Ob das allerdings in Essaouira passieren wird, steht noch sehr in den Sternen. Immer wieder klingt bei ihm durch, dass die In schā' Allāh Mentalität so vieles erschwert, unmöglich macht, er dessen müde ist. Vielleicht spielt auch der Tod seines ehemaligen Partners Frédéric im Jahr 2021 eine Rolle, dass seine Blicke und Gedanken wieder Richtung Argentinien wandern…
Lassen wir uns überraschen - ein Besuch im Le Real Mogador sollte sich jedoch kein Essaouira-Besucher entgehen lassen, um diese außergewöhnliche Atmosphäre selbst zu erspüren.
Siehe auch diese YouTube-Videos:
- Führung durch die Galerie in französischer Sprache mit Abdel Mouzi
- Konzert Baba Diabaté malischer Griot & seine Band
Quellen:
- https://mogador-essaouira.1fr1.net/t18-le-quartier-du-roy-a-mana
- https://www.alcantarafrederic.com/the-founder
- Charles de Foucauld : „Reconnaissance au Maroc“ 1883 - 1884
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