Touria Chaoui - das kurze Leben der ersten Pilotin Marokkos und des Maghreb
Touria Chaoui - ein Name, der bis heute wie ein Symbol klingt. Sie war die erste Pilotin Marokkos und des gesamten Maghreb, eine junge Frau, die mit gerade einmal 15 Jahren ihren Pilotenschein erhielt. In einer Zeit kolonialer Fremdherrschaft und gesellschaftlicher Begrenzungen verkörperte sie Mut, Entschlossenheit und Freiheitsliebe. Doch ihr Leben war kurz: Nur einen Tag vor der offiziellen Unabhängigkeitserklärung Marokkos wurde sie ermordet - vor den Augen ihres kleinen Bruders.
Der Text von Idriss Al-Jay über Touria Chaoui ist weit mehr als eine biografische Skizze - er ist ein literarisches Denkmal für eine Frau, die in der Geschichte Marokkos wie ein heller, aber zu früh erloschener Stern leuchtete. Al-Jay zeichnet das Bild einer Persönlichkeit, die nicht nur Opfer eines feigen Attentats wurde, sondern Symbol und Ikone eines ganzen Volkes.
Schon als junges Mädchen unterschied sich Touria von allen anderen. Während andere Kinder mit Puppen spielten, bastelte sie kleine Papierflugzeuge, die sie in die Luft steigen ließ. Ihr größter Traum war es, die Lüfte zu erobern. Und tatsächlich gelang ihr, was niemand für möglich gehalten hätte: Mit nur fünfzehn Jahren wurde sie die erste Pilotin Marokkos und des gesamten Maghreb. Über ihre Prüfung schrieb sie selbst an ihren Vater: „Ich erlebte den glücklichsten Moment meines Lebens. Ich sah nichts als Nebel im Nebel, doch ich fühlte mich wie ein Vogel, der den Himmel mit den Vögeln teilt.“
Idriss Al-Jay versteht es, diese Momente mit erzählerischer Kraft zu verdichten. Er führt uns in die Atmosphäre einer Zeit, in der ein junges Mädchen, kaum der Kindheit entwachsen, die Symbole kolonialer Überlegenheit herausforderte - und sie besiegte. Nicht zufällig sagte König Mohammed V. zu ihrem Vater: „So wünsche ich mir Väter.“
Gleichzeitig spart der Text die Tragödie nicht aus: den Mord am 1. März 1956, einen Tag vor der offiziellen Unabhängigkeit, begangen vor den Augen ihres zwölfjährigen Bruders. „Da sah der Junge, wie der Kopf seiner Schwester über die Autotür hinabhing, ihr Blut das Fenster färbend“ - eine Szene, die sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.
Doch Al-Jay zeigt Touria nicht allein als Opfer. Er lässt sie als Symbol für Mut, für Eigenständigkeit, für die Kraft der Frauen erscheinen. Ihre Redeauftritte, ihre Vereinsgründungen, ihr legendärer Flug über die königliche Prozession bei der Rückkehr Mohammeds V. - all das fügt sich zu einer Gestalt, die weit mehr verkörpert als ein kurzes Leben: den Traum eines Landes, das seine Unabhängigkeit erkämpfte.
Dieser Text liest sich deshalb nicht nur als Erinnerung, sondern auch als Aufforderung. Touria Chaoui bleibt ein Vorbild - für Mut, für den Glauben an die eigene Stärke und für die Vision einer Gesellschaft, in der Frauen gleichberechtigt an Freiheit und Fortschritt teilhaben.
Ein kurzes Leben voller Aufbruch
Die Geschichte Marokkos kennt zahlreiche Frauen, die unauslöschliche Spuren hinterließen, Zeugnisse ihrer hohen Stellung und ihres herausragenden Ranges. Sie wurden zu Lebzeiten verehrt und auch nach ihrem Tod im Gedächtnis bewahrt. Unter den Frauen aus Fès, die in einem kurzen Leben Unvergängliches hinterließen, ragt Touria Chaoui hervor. Die verräterische Hand hinderte sie daran, ihren Traum zu verwirklichen: mit den Männern und Frauen ihres Landes gemeinsam für die Befreiung von politischer und kultureller Fremdherrschaft zu kämpfen.
Touria, die sich auflehnte gegen die Regeln von Unterwerfung und Demut, wurde mitten in der Blüte ihrer Jugend ermordet, noch ehe sie die Schwelle ihres zwanzigsten Lebensjahres überschritt. Das Verbrechen geschah in grausamer Weise, direkt vor den Augen ihres zwölfjährigen Bruders.
Ein Mord vor den Augen ihres Bruders
Als sie mit ihrem Bruder im Auto vor dem Haus hielt, trat plötzlich ein Mann von hinten heran. Mit einer Handbewegung an der Schläfe deutete er das Töten an. Der kleine Bruder glaubte, dieser Fremde wolle nur scherzen. Dann hörte er Schüsse - und hielt sie für Knallkörper, die der Verkündung der Unabhängigkeit vorausgingen. Im selben Moment begann die Mutter, vom Balkon her zu schreien. Da sah der Junge, wie der Kopf seiner Schwester über die Autotür hinabhing, ihr Blut das Fenster färbend. So beschrieb ihr Bruder Salah Eddine Chaoui - der später als Maler bekannt wurde - die grausame Ermordung seiner einzigen Schwester.
Es war der 1. März 1956. Dieser Tag wurde zum Vorboten der Beisetzung der ersten Märtyrerin des politischen, geistigen und befreienden Widerstandes im unabhängigen Marokko. Ihre Beerdigung fand am 2. März statt - ohne dass sie die offizielle Verkündung der Unabhängigkeit noch erleben durfte und ohne dass die Hintergründe ihres Mordes bis heute je aufgeklärt wurden.
Viele Erzählungen - ein Mord
Über ihre Ermordung kursieren viele Berichte. Manche schrieben die Tat den französischen Kolonialherren zu. Doch ihr Bruder Salah Eddine widersprach entschieden: „Welches Interesse hätten die Franzosen daran gehabt, Touria zu töten, wenn die Unabhängigkeit doch bereits beschlossen war?“
Eine andere Version berichtet, dass Ahmed Boukhari, ein früherer Offizier des marokkanischen Geheimdienstes, erzählt: Ein Mitglied der Sicherheitsdienste, Ahmed At-Tawil, habe Touria um ihre Hand gebeten. Als sie ihn zurückwies, sei er derjenige gewesen, der sie ermordete. Aber war ihr Tod nicht vielmehr die kriminelle Ouvertüre einer Serie von politischen Attentaten und Liquidierungen, die nach der Unabhängigkeit bald führende Persönlichkeiten treffen sollten?
Mag der Täter auch unbekannt geblieben sein und die Drahtzieher im Dunkeln - sie wussten genau: Diese junge Frau, voller Dynamik in Politik, Denken und Kunst, hätte in der Zukunft Marokkos eine prägende Rolle gespielt, insbesondere im Bereich der Frauenfrage. Touria war stark im gesellschaftlichen Leben verankert und setzte sich mit Nachdruck für den nationalen Befreiungskampf ein. Sie gründete die Vereinigung „Schwestern der Wohltätigkeit“, beteiligte sich am Aufbau einer Mädchenschule und kämpfte mit aller Kraft, Mädchen und Frauen zur Bildung und zur Beteiligung am öffentlichen Leben zu ermutigen, damit sie einen Beitrag zur Unabhängigkeit des Landes leisten. Später arbeitete sie daran, den marokkanischen Aeroclub zu gründen - ein Traum, der im Keim erstickt wurde.
Ein Volk nimmt Abschied
Das gewaltige Trauergeleit, in dem mehr als 60.000 Menschen Touria zur letzten Ruhe begleiteten, war Ausdruck der Liebe, der Wertschätzung und der tiefen Verehrung für ihren Kampf, ihre Beiträge und ihre Hingabe. Was sie in ihrem kurzen Leben erreicht hatte, war Traum und Hoffnung für kommende Generationen.
Ihr Name wurde zum Symbol des Widerstands, zum Ausdruck des Glaubens an die Fähigkeit des Menschen, Hindernisse zu überwinden und Horizonte zu öffnen. Zum Andenken an diese ehrgeizige junge Frau, die sich der kolonialen Diskriminierung widersetzte, gaben viele Marokkaner über ein Jahrzehnt hinweg ihren neugeborenen Töchtern den Namen Touria.
Aufgeschobener Tod
Die Ermordung Touria Chaouis war nur das letzte Glied in einer Kette von Attentatsversuchen, die ihr Leben und das ihrer Familie bedrohten - einer Familie, die vom Geist des nationalen Widerstandes durchdrungen war. Sie war offenbar eine unbequeme Figur, sowohl für die Kolonialmacht als auch für gewisse Kreise nach der Kolonialzeit.
Gleich viermal wurde versucht, sie zu töten: Der erste Anschlag ereignete sich Anfang November 1954. Eine französische Terrorgruppe platzierte eine Bombe in der Rue Alexandre Malle, die die gesamte Familie auslöschen sollte. Die Explosion zerstörte die Villa völlig und hätte eine Katastrophe für alle bedeutet - doch die Familie entging dem Anschlag, da sie jener Nacht auf den Rat eines patriotischen Lebensmittelhändlers hin in einem nahegelegenen Hotel verbracht hatte.
Der zweite Anschlag folgte Ende Dezember desselben Jahres: Acht Kugeln aus einem automatischen Gewehr wurden auf Touria und ihren Vater Abdelwahed Chaoui abgefeuert, doch beide blieben wie durch ein Wunder unverletzt.
Die dritte Attacke ereignete sich im August 1955, als zwei französische Polizisten im Wagen das Feuer auf Touria und ihren Vater eröffnen wollten. Nur die große Zahl von Menschen, die sich rings um das Fahrzeug versammelt hatte, verhinderte, dass der Mord ausgeführt werden konnte.
Und im September desselben Jahres 1955 versuchten wiederum zwei französische Polizisten, Touria in eine Falle zu locken, um sie abseits der Öffentlichkeit zu liquidieren. Sie hielten ihren Wagen an und befahlen ihr, sie in ihrem Auto an einen bestimmten Ort zu fahren. Als sie sich weigerte, entbrannte ein Streit, der Passanten auf den Plan rief. Eine Menschenmenge sammelte sich, und die Polizisten sahen sich gezwungen, unverrichteter Dinge den Rückzug anzutreten.
Ein Mädchen nicht wie die anderen
Touria wurde am 14. Dezember 1936 im Stadtviertel al-Qlaqliyin in der Altstadt von Fès geboren, als Tochter von Abdelwahed Chaoui und seiner Frau Zineb. Schon früh zeigte sie Begabung und Scharfsinn.
Anders als die meisten Mädchen in ihrem Alter liebte sie es nicht, mit Puppen zu spielen oder Braut und Bräutigam nachzustellen. Auch Seilspringen oder die üblichen Hüpfspiele auf den aufgemalten Quadraten am Boden - „Tik-Tika ul Monika“ genannt - zogen sie nicht an. Stattdessen faszinierte sie alles, was mit Fliegen zu tun hatte. Sie bastelte kleine Papierflugzeuge, die sie in die Luft steigen ließ, und beschäftigte sich mit mechanischem Spielzeug. Jedes Mal, wenn sie eines bekam, zerlegte sie es mit Neugierde in seine Einzelteile und setzte es wieder zusammen - eine Leidenschaft, die sie sich selbst beigebracht hatte.
Die amerikanische Schriftstellerin Anaïs Nin schrieb: „Es gibt ein Lied, das sagt: Nur der Adler vermag seine Sehnsucht nach dem Himmel zu stillen.“
So war Tourias größte Leidenschaft das Fliegen. Doch in jener Zeit der Kolonialherrschaft war es kaum vorstellbar, dass ein marokkanisches Mädchen mit 15 Jahren Pilotin werden könnte.
Casablanca, Literatur und Film
Im Jahr 1948 führte das Schicksal die Familie Chaoui nach Casablanca, wo der Vater als Direktor in einer Kommunikationsagentur arbeitete. Dort verstärkte sich Tourias Leidenschaft für alles, was mit der Fliegerei zusammenhing, noch mehr. Gleichzeitig traten auch ihre anderen Begabungen deutlich hervor: in Literatur und Kunst. Sie schrieb Kurzgeschichten und Gedichte und gewann mehrere Literaturpreise, insbesondere bei nationalen Anlässen wie dem Thronfest.
Mit zwölf Jahren schlug ihr Vater, Abdelwahed Chaoui, sie dem französischen Regisseur André Zwoboda für dessen Film „Das siebte Tor“ (La Septième Porte) vor - die beiden Männer verband eine enge Bekanntschaft. Touria übernahm die Rolle der kleinen Laila, an der Seite von Georges Marchal und María Casares, die die erwachsene Laila spielte. Auch ihr Vater Abdelwahed wirkte selbst in einer Nebenrolle mit.
Nach Einschätzung des Filmkritikers Ahmed Sijelmassi existierte von ‚La Septième Porte‘ eine französische und eine arabische Version. Tatsächlich jedoch gab es niemals eine arabische Fassung, sondern einzig die französische Originalfassung, in der Touria Chaoui die Rolle der jungen Laila spielte. Einige Szenen wurden 1948 in Fès gedreht.
Die Reise der Herausforderung
Als Touria Chaoui ihr Abschlusszeugnis der Mittelschule erhielt, fasste sie den Entschluss, Flugunterricht zu nehmen. Ihr Vater Abdelwahed Chaoui - ein weltoffener Intellektueller, Journalist und einer der Theaterpioniere von Fès - liebte seine Tochter innig.
Zwar überraschte ihn ihr außergewöhnlicher Wunsch, und er war sich der vielen Hindernisse bewusst, die seiner Tochter im Weg stehen würden. Er wusste auch, dass er selbst dadurch Anfeindungen und Schwierigkeiten auf sich ziehen könnte. Doch sein Vertrauen in Touria war stärker als alle Zweifel. Er setzte alles daran, den Traum seiner einzigen Tochter Wirklichkeit werden zu lassen - nicht ahnend, dass er damit auch die Träume unzähliger marokkanischer Mädchen und Jungen wecken würde.
In ganz Marokko gab es damals nur eine einzige französische Flugschule: Tit M‘lil bei Casablanca. Für ein marokkanisches Mädchen von fünfzehn Jahren war es beinahe unmöglich, dort aufgenommen zu werden - der Unterricht war ausschließlich Franzosen und Europäern vorbehalten.
Doch Abdelwahed Chaoui nutzte seine Stellung als Direktor einer Kommunikationsagentur und wandte sich direkt an den Schulleiter, Monsieur Martin, mit der Bitte, seine Tochter einschreiben zu dürfen. Dieser begegnete Vater und Tochter zunächst mit Spott und Hohn. Nur der unbeirrbare Eifer und die Entschlossenheit Tourias bewegten ihn schließlich dazu, den Antrag anzunehmen - wenn auch lediglich als eine Art Spielerei, deren Scheitern in seinen Augen von vornherein feststand.
Die Ausbildung überwachten zwei Fluglehrer: der Franzose de Lachenal, der als überzeugter Vertreter kolonialer Rassentrennung entschieden dagegen war, dass ein marokkanisches Mädchen fliegen lernte, und der Spanier Noguera, der der jungen Frau durchaus eine Chance einräumen wollte. Sein Mitgefühl und seine Unterstützung waren entscheidend dafür, dass Touria in dieser von europäischen Männern dominierten Schule überhaupt eine Zulassung erhielt.
Allen Widrigkeiten zum Trotz - der Missachtung, der Geringschätzung, der Ausgrenzung - hielt Touria unbeirrt an ihrem Ziel fest. Nach nur einem Jahr voller Geduld und eiserner Entschlossenheit, einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne, konnte sie zur Prüfung für das Pilotenzertifikat antreten - trotz aller Hindernisse und Widerstände, die ihr den Weg erschwerten.
Die Prüfung unter widrigsten Bedingungen
Nach den Bestimmungen der Prüfungskommission durften Flugprüfungen nicht bei bewölktem oder nebligem Wetter stattfinden, das die Sicht erschwerte. Doch genau diese Kommission bestand darauf - in der offenkundigen Absicht, den Willen des Mädchens zu brechen -, dass Touria ausgerechnet an einem Tag antreten müsse, an dem der Himmel dicht mit Wolken verhangen war. An der Spitze derjenigen, die darauf drängten, stand der französische Ausbilder de Lachenal. Trotz des energischen Einspruchs des spanischen Fluglehrers Noguera gegen dieses willkürliche und riskante Vorgehen wurde die Entscheidung gefällt.
Touria nahm den Beschluss an - als eine ungerechte Herausforderung, die sie nicht zurückweisen wollte. Mit unbeirrbarem Mut bestand sie darauf, die Prüfung unter diesen widrigen Bedingungen abzulegen.
Die Nachricht, dass die erste Marokkanerin überhaupt zur Flugprüfung antreten würde, verbreitete sich schnell. Zahlreiche Menschen strömten herbei: manche, um die junge Marokkanerin zu ermutigen, die sich der französischen Vorherrschaft widersetzte, andere einfach aus Neugier.
Der ehemalige Hofhistoriker Abdelhaq al-Merini berichtet in seinem Buch „Die Märtyrerin Touria Chaoui - erste Pilotin des Maghreb (1956, Neuauflage 2009)“: „Touria stieg mit ihrem Flugzeug auf eine Höhe von 4000 Metern und absolvierte den vorgeschriebenen Kurs - einen Kreis von 40 Kilometern. Als sie die Mitte des Flugfeldes erreichte, stellte sie den Motor ab und glitt ohne Antrieb zurück zu der Stelle, an der die Prüfungskommission, völlig überzeugt von ihrem sicheren Scheitern, auf sie wartete. Doch die Kommission war überrascht, als Touria heil und sicher zurückkehrte. Der Vorsitzende - der Direktor des zivilen Flughafens, Martin - konnte seine Gefühle nicht zurückhalten: Noch bevor sie ausstieg, eilte er zu ihr, nahm sie auf seine Arme und trug sie voller Bewunderung in den Saal, in dem sie die mündliche Prüfung ablegen sollte.“
Mit Bravour bestanden - und weltweite Anerkennung
Touria legte ihre Prüfungen mit Auszeichnung ab und erhielt am 17. Oktober 1951 ihr Fliegerdiplom. Der Erwerb dieser Lizenz durch eine marokkanische Frau war ein herausragendes Ereignis, über das internationale Radiosender und große Zeitungen berichteten. Glückwünsche erreichten sie von zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten, darunter Mohammed Ben Abdelkrim al-Khattabi, Allal al-Fassi, die erste französische Pilotin Jacqueline Auriol, der tunesische König Lamine Bey, der libysche König Idris al-Sanussi sowie von den Frauenverbänden Tunesiens und Algeriens. Auch der Königspalast in Rabat empfing Touria und ihren Vater. König Mohammed V. sagte damals zu Abdelwahed Chaoui: „So wünsche ich mir Väter.“
Die Mitglieder der Prüfungskommission und die Gegner Tourias hatten gehofft, sie an jenem wolkenverhangenen Tag ins Verderben zu treiben. Doch sie ahnten nicht, dass dieser Flug für sie selbst ein Augenblick des Lebens und des tiefsten Glücks war. Das bezeugt auch der Brief, den sie an ihren Vater schrieb, wie Abdelhaq Merini überliefert: „Ich erlebte den glücklichsten Moment meines Lebens. Ich sah nichts als Nebel im Nebel. Doch ich war äußerst wachsam, um das Gleichgewicht der Maschine zu halten. Ich fühlte mich wie ein Vogel, der den Himmel mit den Vögeln teilt, und genoss in vollkommener Einsamkeit die Freiheit. Nur das Geräusch meines Motors leistete mir Gesellschaft, während mich mein Wissen und meine Kenntnisse führten.“
Keine Zeit zu verlieren
Touria war die erste Marokkanerin - ja, die erste Frau im gesamten Maghreb -, die ein Flugzeug steuerte. Weltweit gehörte sie zu den wenigen Frauen, die im vergangenen Jahrhundert Pilotinnen wurden, und sie war sogar die erste Frau der Welt, die bereits im Alter von fünfzehn Jahren ein Fliegerdiplom erhielt.
Doch Tourias außergewöhnliches Talent zeigte sich nicht allein in der Fliegerei. Viele konnten kaum glauben, dass ein Mädchen in ihrem Alter ein Flugzeug allein steuern konnte. Aber ihre Begabung reichte weit darüber hinaus - bis in Literatur und Dichtung. Es war, als ob sie mit der Zeit selbst wetteiferte, als spürte sie, dass das Schicksal ihr nicht allzu viele Jahre lassen würde, um all das zu verwirklichen, was sie sich vorgenommen hatte. Ausdruck dafür findet sich in den Versen von Allal al-Fassi:
Soll ich, fünfzehnjährig, spielen und scherzen,
das Leben genießen und mich am Vergnügen berauschen?
Mein Blick geht höher, mein Stolz verlangt mehr,
nach einem Rang, der den Sternen gleicht.
Ich habe Hoffnungen, die ich erreichen will,
sie schwinden, wenn ich meine Zeit vertreibe.
Ich habe ein Volk, vom Schicksal gebeugt,
dem der Weg zu würdigem Leben verwehrt blieb.
Dem opferte ich den Glanz meiner Jugend, seufzend - kein Bissen schmeckte mir, kein Trunk erquickte mich.
Und selbst der Schlaf, wenn er mich für eine Stunde umfing, verwandelte sich in Glut, die mich aufwühlte.
Der Einfluss des Vaters und ihr Engagement
Ihr Vater, Abdelwahed Chaoui, gehörte zu den ersten marokkanischen Journalisten, die auf Französisch schrieben. Er spielte eine entscheidende Rolle in der kulturellen, künstlerischen und politischen Prägung seiner Tochter Touria. Besonders durch seine Theaterarbeit - in Fès stand er der „Fassi-Chorverband arabischen Theaters“ vor, die an die Stelle der Vereinigung der Ehemaligen des Gymnasiums Moulay Idriss getreten war - knüpfte er bedeutende Kontakte zu Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik.
Dieses geistige und künstlerische Umfeld prägte auch Touria. Schon in jungen Jahren schloss sie sich der nationalen Bewegung an, gründete Vereine und hielt Reden bei Frauenzusammenkünften. Ihr Ziel war es, das Bewusstsein der marokkanischen Frauen zu heben und sie politisch zu sensibilisieren - besonders während der Zeit des Exils von König Mohammed V. Sie rief die Frauen dazu auf, ihre Rolle in der Gesellschaft wahrzunehmen, auf die Straße zu gehen, zu protestieren und Druck auf die Kolonialmacht auszuüben, damit der König zurückkehren und die Unabhängigkeit erlangt werden konnte.
Touria tat dies nicht nur durch Reden, sondern auch durch ihre Beiträge in nationalen Zeitungen. Sie gründete Vereine wie die „Schwestern der Wohltätigkeit“ und „Die Zukunft des marokkanischen Mädchens“ und arbeitete mit Nachdruck am Aufbau des marokkanischen Aeroclubs.
Der unsterbliche Vogel
Touria zeigte ihre Liebe zum Vaterland in aller Deutlichkeit - und reizte damit die Kolonialmacht bis aufs Äußerste. Am Tag der Rückkehr von König Mohammed V. aus dem Exil im Jahr 1955 stieg sie in ein einmotoriges Flugzeug und flog in geringer Höhe über die königliche Prozession, die sich vom Flughafen Rabat-Salé in Richtung Palast bewegte. Dabei warf sie farbige Papierstreifen aus der Luft, als Ausdruck ihrer Freude über die Heimkehr des Königs und als Symbol der nahenden Unabhängigkeit. Doch dieser Einsatz blieb nicht ohne Folgen: Sie erkrankte an der Brust und musste sich auf Kosten des Königs in der Schweiz behandeln lassen.
Auch nach ihrem Tod blieb Touria Chaoui eine Ikone der Unabhängigkeit, ein Symbol der Befreiung, eine Hoffnung für alle Mädchen und eine Legende des Widerstands. Dennoch ist ihr Andenken bis heute nicht in angemessener Weise gewürdigt worden: Weder ein Flughafen noch eine Luftwaffenbasis in Marokko tragen ihren Namen.
Um ihrem Leben ein Denkmal zu setzen, brachte der Regisseur Rabii El Jawahiri den Film „Touria - der freie Vogel“ heraus. Touria wurde von Assia Bouhdouz gespielt, ihre Mutter Zineb von Manal as-Seddiqi, während al-Houssine Bouhsine die Rolle des Vaters übernahm. Erwähnenswert ist, dass dieser Film allein dank der Unterstützung und Treue von Freunden und Bewunderern dieser außergewöhnlichen Frau verwirklicht wurde.