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Suq as-Sagha und Atay: die Biografie eines Geschmacks

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Zwischen Läden, Funduq und Brunnen wird am Suq as-Sagha sichtbar, wie der Markt sich von Gold- und Münzhandwerk hin zum Tee- und Zuckerhandel gewandelt hat. Idriss Al-Jay nimmt diesen Markt als Fokus und zeigt, wie Atay - der marokkanische Minztee - vom höfischen Geschenk zum Alltagsritual wurde.

Suq as-Sagha. Im Vordergrund links der Brunnen, Foto Said Amimi

Suq as-Sagha. Im Vordergrund links der Brunnen, Foto Said AmimiIdriss Al-Jay gelingt mit seinem Artikel ein seltenes Kunststück: Er zeigt, wie man von einem konkreten Ort - dem Suq as-Sagha - aus die große Erzählung einer Kultur entfaltet, ohne in Folklore oder bloße Aufzählungen zu verfallen. Der Einstieg in die Topografie des Marktes ist kein dekorativer Auftakt, sondern die kluge Setzung eines Rahmens: Hier kreuzen sich Waren, Wege und Worte. Von dieser Bühne aus führt Al-Jay in die Geschichte des Atay, des marokkanischen Minztees - präzise, anschaulich und stets mit Sinn für soziale Bedeutungen.

Besonders überzeugend ist die historische Tiefe. Al-Jay verankert den Tee dort, wo er in Marokko ankam: im höfischen Kontext, als Geschenk europäischer Gesandter. Von dort verfolgt er seine Wanderung in die Häuser der lokalen Eliten und angesehenen Bürger, auf die Märkte und in den Alltag. Er verschweigt die Debatten nicht: Gelehrte rangen um Erlaubnis und Reinheit; ein Sufi-Gelehrter warnte vor ökonomischer Abhängigkeit; der Staat ließ Zuckerfabriken prüfen. So entsteht keine glatte Herkunftserzählung, sondern eine Geschichte, die Widersprüche nicht scheut.

Stark ist auch, wie der Text das Wie des Tees sichtbar macht: der erste kurze Aufguss zum Spülen der Blätter, das wiederholte Kosten, die Kräuter (Minze, Wermut und Eisenkraut), das Einschenken in kleine Gläser - drei Runden, ein geteiltes Zeitmaß. Dass Al-Jay die höfische Etikette (Herr des Minztees) und ihre bürgerliche Entsprechung (Herr des Teetabletts) mitdenkt, macht den Aufstieg des Atay zum Ritual der Gastfreundschaft greifbar.

Am Ende hat man mehr verstanden als den Weg eines Getränks. Man begreift, warum ein Markt zum Resonanzraum einer Stadt werden kann - und wie ein Glas Tee Gemeinschaft stiftet, Unterschiede überbrückt, Identität formt. Dieser Text ist nicht nur informativ; er macht Lust, genauer hinzusehen, langsamer einzuschenken und die Kultur im Kleinen ernst zu nehmen.

 

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