Wellen der Stille: Zwischen Magie, Mythos und Wüste
Mustapha Laghtiri begibt sich auf eine Reise durch die grenzenlose Weite der Wüste - eine Landschaft, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist herausfordert.
Das Wüstenamulett | |
Die Magie des Wüstenzeltes | |
Vermächnis der Wüste | |
Der Weg nach Erfoud | |
Letzter Teil: Die Schatzsuche | |
Während er durch den endlosen Sand wandert, wird er von tiefgründigen Gedanken über Vergänglichkeit, Leben und das Nichts begleitet. Die Stille und Weite des Ortes lassen ihn über die menschliche Existenz und den Platz des Einzelnen im großen Gefüge der Welt nachdenken.
Sein Ziel ist ein berühmter Scheich, der in der Region für seine Weisheit und sein verborgenes Wissen bekannt ist. Der Scheich behauptet, in einem Traum Hinweise auf einen verborgenen Schatz erhalten zu haben - einen Schatz, der das Schicksal seines Stammes verändern könnte. Für Laghtiri stellt diese Begegnung eine außergewöhnliche Chance dar, seine Studien über traditionelle magische Praktiken und spirituelle Überlieferungen zu vertiefen.
Eine Reise in die Tiefen der eigenen Gedanken
So begann ich meine Reise in die unermesslichen Weiten der Wüste, wo mich nicht nur der Sand, sondern auch meine eigenen Gedanken auf die Probe stellten.
Die lange Reise der vergangenen Nacht von Casablanca bis zur nächsten Oase am Rande der Wüste lastete noch immer schwer auf mir. Meine Seele ächzte unter der Müdigkeit, die diese Fahrt mir auferlegte. Während der gesamten Reise vermochte ich es nicht, meine Augen auch nur für kurze Zeit zu schließen, um etwas Schlaf zu finden - jenen Schlaf, von dem ich sicher war, dass er meinem Körper die ersehnte Ruhe und Gelassenheit zurückbringen würde.
Zu tief war ich in Gedanken versunken, erfüllt von der Erwartung dessen, was mich im Herzen der Wüste wohl erwarten würde. Unentwegt spielte ich Szenarien durch, die ich mir ausmalte - Bilder von meiner Lage an jenem fremden Ort, einem Landstrich, den ich mir karg, entblößt von jeglichem vertrauten Leben vorstellte. Doch je tiefer ich mich in diese Vorstellungen hineinsteigerte, desto drückender wurde das Gefühl der Beklemmung, das sich wie eine schwere Last auf meine Brust legte. Ich wünschte ich mir, die Reise hätte am Tage stattgefunden, damit ich mich an den Landschaften entlang des Weges hätte erfreuen können. Doch die Nacht hat ihre eigenen Gesetze - sie zwingt einen, nach innen zu schauen. Man ist gezwungen, mit den Bildern der Erinnerung vorlieb zu nehmen oder, wenn das Glück der Fantasie einem hold ist, neue Geschichten zu erfinden. So versucht man, die Monotonie und Mühsal der langen Reise zu vergessen - oder wenigstens für eine Weile zu verdrängen. Ich leugne nicht, dass mich die endlose Länge der Reise mit einer gewissen Langeweile erfüllte - eine Strecke, die kaum zu enden schien.
Erster Kontakt mit der Wüste
Als der Reisebus im Morgengrauen in der Stadt Errachidia hielt, bot sich mir die Gelegenheit, erstmals mit diesem südlichen Landstrich Bekanntschaft zu machen, den ich bislang nicht besucht hatte. Ich nahm mein Frühstück mit großem Appetit ein. Diese Pause löste mich von einem Teil meiner inneren Anspannung und öffnete mir ein geheimnisvolles Tor zu neuen Träumen - fernab jener übertriebenen Geschichten, die man über die Härte der Wüste und die Kargheit ihrer Städte erzählt.
Meine erste Begegnung mit der Wüste hier in dieser Stadt war ermutigend. Die rötlichen Gebäude nahmen sich sanft und einladend aus und schenkten meiner vom Lärm ermüdeten Seele eine kühle Ruhe. Die verstreuten Palmenbüschel, die hier und dort aus dem Boden sprossen, vermittelten das Gefühl, dass man sich an der Schwelle zu einer grundlegenden Veränderung befand. Es schien, als halte die Reise bereits ihr Versprechen: Die erste Station ließ mich nicht im Stich. Trotz der kurzen Zeitspanne, die uns zur Erholung und zum Essen eingeräumt wurde, beschloss ich, eine kleine Erkundungstour durch die Hauptstraßen der Stadt zu unternehmen - eine Atempause, nach der meine Seele sich sehnte. Dieser Entschluss erwies sich als überaus wohltuend.
Nach der kurzen Rast in Errachidia setzte der Bus die Reise fort... Nun stehe ich hier, mitten in den Sanddünen, an einem Ort, der zwischen Zweifel und Gewissheit schwankt, und richte meinen Blick auf den fernen Horizont. Er erscheint mir wie eine unendliche, gerade Linie, die dem Betrachter auf seltsame Weise greifbar scheint - fast wie eine verirrte Sehnsucht, die sich nach der Erfüllung eines langen aufgeschobenen Treffens verzehrt. Diese Sehnsucht, tief verwurzelt in den verborgenen Winkeln der Seele, gleicht einer Schlange, die von der Kälte gezwungen wurde, sich zusammengerollt in ihrem Unterschlupf zu verbergen. Doch sobald sie von einer allmählichen Wärme durchdrungen wird, wird sie ihren Bau verlassen, sich entfalten und über das weite Land Gottes dahingleiten.
Meine in Sportschuhen geschützten Füße sinken tief in den weichen Sand ein, während ich mich bemühe, die Nachgiebigkeit des Untergrunds zu überwinden, der jeden Schritt nach vorne erschwert. Immer wieder zwingt mich der ungleiche Boden dazu, für einen Moment den Blick nach unten zu richten, um sicherzugehen, dass meine Füße festen Halt finden. Doch schon kurz darauf hebe ich den Blick wieder und richte ihn auf den vermeintlichen Pfad, der vor mir liegt - ein Weg, den ich zu durchqueren gedenke.
Währenddessen nagt an mir jene widerspenstige Sehnsucht, die mich unvorhergesehen mit ihrer Intensität überfällt. Sie wird umso wilder, je mehr ich versuche, sie zu ignorieren oder ihre Existenz zu vergessen - in der Hoffnung, dass sie mich im Gegenzug ebenfalls in Ruhe lässt. Doch genau dann, wenn ich glaube, sie hinter mir gelassen zu haben, tritt sie umso entschiedener zutage. So auch jetzt, genau in diesem Augenblick, hier an diesem Ort.
Der Horizont, den ich für kurze Momente erfolgreich aus meinem Bewusstsein verdränge, um meine Gedanken zu ordnen und mich auf eine bevorstehende Begegnung vorzubereiten, drängt sich mir aus dieser Perspektive erneut auf - provokanter und herausfordernder denn je. Er zwingt mich dazu, wieder über ihn nachzudenken, diesmal mit größerer Tiefe. Dieser Horizont, der sich wie ein unaufhaltsamer Magnet auf Geist und Seele auswirkt, ist zugleich eine Grenze für das Auge und ein Tor für das Denken. Er begrenzt den Blick, vermag jedoch nicht, die innere Einsicht zu hemmen. Ich stelle mir vor, er sei eine scharfe Trennlinie - zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Hier und Dort, zwischen der lebendigen, gegenwärtigen, aber verwirrten Existenz und ihrem Spiegelbild, das im Nichts verweilt.
Dieser verführerische Anblick des provokanten Horizonts vermittelt das Gefühl, dass nichts ewig währt, dass nichts wahrhaftig ist außer dem Nichts selbst - dem Vergehen, dem Verschwinden, dem Verlust. In einer Welt, die auf subtile, fast sanfte Weise von dieser Grenzlinie beherrscht wird, entsteht der Eindruck, dass alles letztlich im Vergessen endet. Selbst wenn diese Linie nur eine Illusion ist, präsentiert sie sich doch wie eine Botschaft - eine Botschaft, deren Symbolik tief und weitreichend ist. Sie berührt zweifellos das Wesen der menschlichen Existenz, jenes fragile Sein, das in einer feindseligen Welt herangewachsen ist, von jeher verfolgt von der Idee des unvermeidlichen Endes: dem Vergehen, dem Nichts, dem völligen Auslöschen.
Diese Grenzlinie scheint nicht nur den Blick zu versperren, sondern erinnert auch an die unausweichliche Wahrheit, die sich in allen Zeiten durchgesetzt hat: das ewige Spiel zwischen Existenz und Vergänglichkeit - ein Tanz zwischen dem, was ist, und dem, was unaufhaltsam im Nichts verschwindet.
Der Weg zum verborgenen Schatz
Trotz der Möglichkeit, mit einem Fahrzeug schneller ans Ziel zu gelangen, war ich entschlossen, den Weg zu Fuß zu beschreiten. Warum ich darauf beharrte, wusste ich nicht genau. Vielleicht wollte ich meinen Füßen die Gelegenheit geben, diesen Boden zu berühren, von dem ich insgeheim annahm, dass ihn einst einer meiner Ahnen betreten hatte. Es war ein Gedanke, der sich mir unwillkürlich aufdrängte: Die Berührung dieser Erde würde mir guttun - meinem Körper, meinem Geist, meiner Seele und meiner Erinnerung. Ich spürte, dass ich auf diese Weise eine gewaltige Energie aus längst vergangenen Zeiten in mich aufnehmen würde, eine Kraft, die geduldig hier auf mich gewartet hatte, um sich mir vorbehaltlos zu schenken. Ich war nahe daran, es als einen Segen zu bezeichnen, der mir zuteil wurde. Seltsam - genau dieses Wort drängte sich mir auf: Segen.
Sand, Dünen, Kamele, die Wüste, die Ahnen, der Segen, das Schicksal - all diese Begriffe formten sich in meinem Kopf zu einem einzigen Bild. Sie alle bestimmten meinen Zustand, während ich meine Füße tief in den Sand versenkte, den Blick fest auf jene entfernten Zeltlager gerichtet, die sich wie ein Versprechen am Horizont abzeichneten. Mein Blick verlor sich nie in der Weite, er blieb stets auf dieses Ziel gerichtet. Diese Lager waren meine Orientierung, meine innere Kompassnadel, die nicht nur meinen Weg bestimmte, sondern auch mein Schicksal.
In jenen Zeltlagern erwartete mich ein Stammesältester, mit dem ich über eine äußerst bedeutsame Angelegenheit sprechen sollte. Der Mann behauptete, es gäbe hier irgendwo einen vergrabenen Schatz, und er sei in der Lage, ihn zu bergen. Ich brannte darauf, diese Erfahrung zu machen, da sie genau meinem Fachgebiet entsprach - der Erforschung volkstümlicher Glaubensvorstellungen mit magischem Charakter. Es war notwendig, Kontakt zu einer Gruppe von Menschen herzustellen, die mich zu diesem Scheich bringen würden.
Die Zustimmung des Scheichs war keineswegs leicht zu erlangen. Ein Verwandter von ihm, ein Studienkollege von mir, erleichterte jedoch den Zugang, indem er dem Scheich alle notwendigen Garantien gab, dass die Angelegenheit vollkommen diskret behandelt würde. Zudem versprach ich, absolute Neutralität zu wahren: Ich würde dabei sein, beobachten und zuhören, ohne einzugreifen oder zu kommentieren. Und wenn ich später über das Erlebnis schreiben würde, blieben sowohl Namen als auch der genaue Ort anonym. Für mich zählte einzig das Ereignis an sich - nicht die Personen, die daran beteiligt waren.
Unweigerlich war ich in eine phänomenologische Haltung geraten: Nichts war von Bedeutung, außer dem, was sich unmittelbar vor meinen Augen abspielte. Ich strengte mich an, um einen Zustand völliger innerer Leere zu erreichen - und tatsächlich, es gelang mir auf beinahe unheimliche Weise. Keine Vorurteile, keine festen Überzeugungen. Mein einziger Wunsch war es, mir dort, während des Geschehens, eine frische, unvoreingenommene Vorstellung zu bilden. Eine Idee, die aus der Erfahrung selbst erwuchs, ohne dass ich sie zuvor in irgendeiner Weise beeinflusst hätte.
Der Stammesführer
Ein Mann mit umfassendem Wissen, unerschütterlichem Mut und außergewöhnlicher Willensstärke, dazu besaß er eine beeindruckende charismatische Ausstrahlung. Trotz seiner Herkunft, die ihm im Vergleich zu anderen, hochgeachteten Stammesmitgliedern keine privilegierte Stellung verschaffte - ein Aspekt, der in der Wüste normalerweise von entscheidender Bedeutung ist - verhalfen ihm seine außergewöhnlichen Eigenschaften, die Spitze seines Stammes zu erreichen. Seine Klugheit, sein Weitblick und seine Standhaftigkeit, gepaart mit seiner umfassenden Bildung, verschafften ihm nicht nur Respekt, sondern auch eine herausragende Stellung in den Ratsversammlungen seines Stammes. Seine Redekunst war legendär. Die Menschen besangen seine poetischen Werke in der Hassani-Sprache, die als Inbegriff von Weisheit und Schönheit galten.
Eine besonders bemerkenswerte Episode seines Lebens, von der mir ein Kommilitone berichtete, war sein Eintritt in die mystische Welt, die nur wenigen Auserwählten zugänglich ist. In einem entscheidenden Moment seines Lebens soll er einen nahezu unmöglichen Weg eingeschlagen haben, einen Weg, der sein Leben und das seines Stammes grundlegend verändern würde. Laut der Überlieferung erschien ihm in einem Traum eine geheimnisvolle Stimme, die ihm von einem verborgenen Schatz berichtete. Dieser Schatz, so die Botschaft, würde das Schicksal seines gesamten Stammes verändern, wenn er ihn zu bergen vermochte.
Nach jenem Traum änderte der Scheich seine Ausrichtung und widmete sich mit großem Eifer den mystischen Zeichen und magischen Formeln, die er in alten Traditionen fand. Wie mir sein Verwandter berichtete, reiste er durch zahlreiche Städte und Dörfer, insbesondere in die Region Souss, um die Geheimnisse dieser verborgenen Kunst zu ergründen. Dort stieß er auf uralte, geheim gehaltene Traditionen und Kenntnisse, die nur wenigen Eingeweihten zugänglich waren und von denen er hoffte, dass sie ihm helfen würden, den verborgenen Schatz zu finden.
Sein Engagement brachte ihm außerordentlichen Erfolg ein - einen Erfolg, den viele seiner engsten Vertrauten miterlebt und anschließend weiterverbreitet hatten. Sie erzählten von seinen erstaunlichen Fähigkeiten und machten ihn zu einer Legende.
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Als ich meinen Weg fortsetzte und die Sonne in ihrer vollen Pracht stand, schien sie mir nicht feindlich gesinnt, vielleicht weil die Zeit nun eine andere war. Im Sommer ist sie unerträglich, doch in diesem Moment, im Frühling, zeigt sie sich sanft und mild. Noch hat sie ihre ganze Energie und ihre sommerliche Aggressivität nicht entfesselt.
Ein plötzlicher Moment der Erkenntnis durchdringt mich, ein strenges Bewusstsein, das mir klar macht, dass ich tatsächlich hier bin, an diesem Ort. Ich sage mir selbst, um die Wahrnehmung des Ortes zu schärfen: „Ich bin hier, in der Wüste.“
Und da stand ich, unvermittelt, Angesicht zu Angesicht mit einem jungen, schmächtigen Mann, bartlos, groß gewachsen. Er trug ein langes Gewand in erdfarbenem Ton und hatte seinen Kopf mit einem Tuch bedeckt, das fast denselben Farbton wie das Gewand hatte. Sein Gesicht war von einem großzügigen Lächeln erhellt. Er sprach mich mit meinem Namen an, vorangestellt das Wort „Professor“, und seine Stimme war von einem Dialekt geprägt, in dem sich Berberisch und Hassani-Arabisch mischten. Dann forderte er mich auf, auf das Kamel zu steigen, das er bei sich hatte und das er für mich niedergelegt hatte.
Ich bedankte mich bei dem jungen Mann, lehnte aber freundlich ab und sagte: Ich liebe es zu Fuß zu gehen, das Reiten ist nicht notwendig.
Der junge Mann antwortete mit fester Stimme: Der ehrenwerte Scheich al-Ghali hat mich zu Ihnen geschickt, und ich muss seinen Anweisungen folgen, sonst wird er zornig auf mich.
Ich entgegnete, mit einem gewissen Nachdruck: Und wer sollte den Scheich darüber informieren? Von meiner Seite aus sicherlich niemand, ich werde es ganz gewiss nicht tun.
Er lächelte und sagte: Oh Professor, seit Sie die Wüste betreten haben, sind Sie uns allen sichtbar. Die Wüste hat Augen, die nur wir wahrnehmen können. Sie beobachten jeden Fremden, selbst wenn er sich hinter tausend Masken versteckt. Jeder hier weiß von Ihrer Anwesenheit und verfolgt Ihre Schritte. Der Scheich hat uns zudem berichtet, dass Sie an einer Krankheit leiden, die er selbst zu heilen beabsichtigt.
Verwundert über seine Worte schwieg ich. Ich antwortete nicht. Manchmal ist Schweigen der Gipfel der Weisheit. Doch hier in der Wüste ist Schweigen nicht nur weise, sondern eine Tugend, die zur Landschaft passt. Und zu reden – aber nur zur rechten Zeit – ist ebenfalls Weisheit. Noch klüger jedoch ist es, nicht zu viele Fragen zu stellen. So hatte ich es in Büchern über die Wüste gelesen, bevor ich mich auf diese Reise begab.
Mit Mühe bestieg ich den Rücken des Kamels, unterstützt von dem jungen Mann, der das Tier mit bestimmten Lauten ansprach. Kaum hatte ich meinen Platz gefunden, da richtete sich das Tier plötzlich auf, so abrupt, dass ich fast mein Gleichgewicht verlor und zu Boden gestürzt wäre. Überrascht von dem unerwarteten Ruck, warf ich einen verstohlenen Blick auf den jungen Mann. Sein Gesichtsausdruck verriet einen spöttischen Zug, als dachte er: „Diese Fremden! Wie schwach sie doch sind – sie schaffen es nicht einmal, ein Kamel zu besteigen, selbst mit Hilfe. Während unsere Frauen dies mühelos allein bewältigen.“
Ich begegnete ihm mit einem nachsichtigen Blick, dann konzentrierte ich mich darauf, meinen Sitz auf dem Kamelrücken zu stabilisieren. Langsam setzte sich das Tier in Bewegung, zunächst gemächlich, dann wurden seine Schritte fließender, bis es begann, die Sandlandschaft unter sich mit bemerkenswerter Leichtigkeit zu überqueren. Der junge Mann, dessen Name ich unterwegs erfuhr – al-Hussein, ein Angehöriger des Stammes –, ging mit erstaunlicher Leichtigkeit nebenher. Sein schneller, fließender Gang schien so selbstverständlich, dass man meinte, er sei Teil der Wüste selbst – schon immer hier gewesen und für alle Zeit hierbleibend.
Während unseres Weges war der junge Mann auf eine bemerkenswerte Weise schweigsam, fast verschlossen. Ich verstand sofort, warum gerade er zu mir geschickt worden war. Der Scheich hatte offensichtlich noch kein uneingeschränktes Vertrauen zu mir gefasst. Seine kleine Notlüge über meine angebliche Krankheit deutete zudem darauf hin, dass er auch seiner Umgebung nicht vollkommen traute. Ein vorsichtiger, ja verschlossener Mann, dieser Scheich. Doch seine Behauptung über meine Krankheit brachte mich zum Nachdenken: Könnte ich tatsächlich krank sein? Vielleicht leide ich an den Illusionen der Zivilisation, an den Täuschungen von Wissenschaft und Wissen. Vielleicht ist meine Anwesenheit hier tatsächlich notwendig, um Heilung von all diesen Dingen zu finden.
Während al-Hussein das Kamel weiter in Richtung der Zelte führte, die wir aus der Ferne sehen konnten, schaukelte ich auf seinem Rücken hin und her, bemüht, mein Gleichgewicht zu halten, das mich bei jedem Schritt des Tieres erneut im Stich zu lassen schien. Über uns spannte sich der Himmel, dessen Blau tiefer und reiner wirkte, als ich es je zuvor gesehen hatte – als hätte die Wüste selbst die Farbe konzentriert und sie in eine unvergängliche Klarheit gegossen.
Nichts konnte mich davon überzeugen, den jungen Mann in seiner Neutralität und Schweigsamkeit zu lassen, während er still seine Schritte tat und die edle Aufgabe ausführte, die ihm der Scheich anvertraut hatte. Also rief ich ihn: Al-Hussein, halte das Kamel bitte an. Ohne zu zögern folgte er meiner Bitte. Als das Kamel zum Stehen kam, sagte ich zu ihm: Komm näher.
Zögernd trat er heran, ein wenig verlegen. Ich streckte ihm eine Hand mit einem Geldschein entgegen. Zunächst lehnte er entschieden ab, doch als ich darauf bestand, nahm er ihn schließlich an. Das war der Wendepunkt in unserer Beziehung. Ich bemerkte, dass er häufiger lächelte und offener zu werden schien. Es war, als hätte ich durch dieses einfache Geschenk sein Vertrauen gewonnen. Schließlich sind Geschenke seit jeher der Schlüssel zu verschlossenen Herzen. Ich überreichte ihm meine Gabe, während ich darüber nachdachte, dass ich ihn während meines Aufenthalts in der Wüste wahrscheinlich noch oft brauchen würde.
Nach und nach löste sich seine Zunge, und seine Worte wurden immer flüssiger. Er begann, mir von dem Scheich und seinem Wissen zu erzählen. Der Scheich habe viele schwer heilbare Krankheiten behandelt, was der junge Mann auf zwei Dinge zurückführte: auf seltene medizinische Bücher, die der Scheich besaß, und auf die Baraka – eine göttliche Gnade, die Gott denen schenkt, die er auserwählt. Diese Gnade, so sagte er, werde von Generation zu Generation weitergegeben.
Während seines ausgedehnten Erzählens war ich erstaunt über die Fülle an Informationen, die er besaß. Er berichtete mir, dass der Scheich ein Exemplar von Ibn Sinas Werk über Medizin besitze, das er sorgfältig hütete. Jede Nacht lese er darin, um die Behandlung der Patienten zu verbessern, die sowohl aus der Wüste als auch aus nahegelegenen Städten wie Errachidia, Erfoud und Rissani zu ihm kämen. Seine Art zu sprechen gefiel mir sehr, und ich hörte ihm aufmerksam und mit Freude zu.
Doch dann geschah etwas Unerwartetes, das mich tief beeindruckte. Der junge Mann griff in seinen Beutel, zog ein kleines Amulett hervor und reichte es mir. Mit Nachdruck bestand er darauf, dass ich es annehme. Dann sagte er zu mir: Dieses Amulett schützt vor Schlangen und Skorpionen. Meine Großmutter hat es für mich gemacht, und sie kann leicht eine weitere für mich anfertigen. Sie sind ein Fremder in der Wüste, und Ihr Körper wird den Biss eines giftigen Tieres nicht ertragen können. Bitte nehmen Sie sie und bewahren Sie sie an einem sicheren Ort auf, damit Gott Sie vor allem Übel beschützt.
Ich wollte ihm zunächst mit rationalen Worten antworten, ihm erklären, dass ich ein Mann der Wissenschaft und Kultur bin, praktisch ein Soziologe, der nicht an solche Dinge glaubt. Doch ich schwieg. Innerlich sagte ich mir: Man muss sich an seine Umgebung anpassen, Teil der Menschen werden, die dort leben, um Harmonie zu finden und mehr zu lernen. Und wir sollten uns in Bescheidenheit üben, wenn es um Unterschiede geht.
Ich streckte meine Hand aus, nahm das Amulett dankbar an und sprach meinen Dank für al-Husseins Großzügigkeit aus. Es war ein schönes und zugleich seltsames Artefakt. Ein merkwürdiges Frösteln durchlief mich, als ich die seltsamen Schriftzeichen betrachtete, die es zierten – eine Mischung aus arabischen und berberischen Buchstaben sowie fremdartigen Symbolen. Um meinem Freund al-Hussein zu zeigen, wie sehr ich seine Gabe schätzte, zog ich meine Geldbörse hervor und verstaute das Amulett an einem verborgenen Ort, fern von neugierigen Blicken.
Unter den wachsamen Augen des jungen Mannes ließ ich meine Bewunderung für das Amulett erkennen. Ich holte es erneut hervor, betrachtete es eingehend, dann legte ich es zurück in sein geheimes Versteck. Wie hätte ich dieser Gabe gegenüber neutral bleiben können? Ich bin fasziniert von den magischen Bräuchen der Völker, und dieses Amulett war für mich ein unbezahlbarer Fund. Es war unausweichlich, dass ich das Gespräch mit al-Hussein vertiefte, denn er hatte mir sein Vertrauen geschenkt und mir das Wertvollste überreicht, was er besaß – etwas, das ihm Schutz garantierte. Was könnte bedeutender sein?
Ich dankte ihm nochmals für seine Großzügigkeit und fragte ihn schließlich nach seiner Großmutter. Ohne zu zögern antwortete er: Sie ist eine hochbetagte Frau namens „Naʿmat Allah“, freundlich und anmutig. Trotz ihres Alters sind die Spuren ihrer einstigen Schönheit noch deutlich in ihrem Gesicht erkennbar, das auch von einigen Tätowierungen, besonders an ihrem Kinn, gezeichnet ist. Sie hegt große Zuneigung zu mir und verwöhnt mich stets mit ihren Geschenken und Erzählungen. Sie spricht oft über ihre Vorfahren aus der Wüste von Chengeṭ [Mauretanien], angesehene Edle, die in der Region hohes Ansehen genießen. Mein Großvater heiratete sie, nachdem die Karawane, die er für seinen Handel durch die Wüste begleitete, in der Siedlung, in der sie mit ihrer Familie lebte, Rast machte.
Ihr Vater war ein gelehrter Mann, der den Koran auswendig kannte und sich mit Genealogie [Ahnenforschung] befasste. Er konnte die Geschichten von mehr als hundert Vorfahren erzählen. Dies beeindruckte meinen Großvater, der selbst eine Leidenschaft für Stammbäume hatte, so sehr, dass er beschloss, sich durch Heirat mit dieser Familie zu verbinden. Er bat um die Hand einer seiner Töchter, und so heiratete er meine Großmutter Naʿmat Allah. Nach der Heirat entdeckte er ihre Klugheit und bevorzugte sie bald vor all seinen anderen Ehefrauen. Es bereitete ihm große Freude, mit ihr die Abende bei einer Tasse Tee zu verbringen, den sie meisterhaft zuzubereiten wusste.
Von ihrem Vater erbte sie die Liebe zur Genealogie und wurde zu einem lebendigen Gedächtnis, das die Geschichten der Vorfahren mit einer Präzision wiedergab, als läse sie aus einem Buch. Nach einiger Zeit bemerkte die Gemeinschaft ihre Fähigkeit, bestimmte Krankheiten zu behandeln, insbesondere Muskelkrämpfe, die Arme und Beine betreffen konnten. Sie verstand es, diese fachkundig zu massieren und zu verbinden, sodass die Heilung schnell eintrat. Aufgrund ihrer Fähigkeiten erhielt meine Großmutter in unserer Gemeinschaft den Ehrentitel „die Ehrenwerte“ (al-Scharīfa), und jeder begann, sie mit diesem Namen anzusprechen.
Ich lauschte den Worten des jungen Mannes mit großer Aufmerksamkeit und erkannte in ihm ein beeindruckendes Erzähltalent, das mich so fesselte, dass ich beinahe die Umgebung aus den Augen verlor. Dabei war ich doch ansonsten fasziniert davon, jede Szenerie, die sich meinen Blicken bot, einzufangen. Ehe ich mich versah, hatten wir die Zelte erreicht, die an einem offenbar sorgfältig ausgewählten Ort mitten in der Wüste aufgestellt waren.
Die Kamele, die den Lagerplatz umgaben, schienen sich dem Müßiggang hingegeben zu haben. Mit ihren Kiefern vollführten sie seltsame und zugleich belustigende Bewegungen, während ihre Blicke ins Leere gingen. Vielleicht taten sie das nach einem anstrengenden Tag, an dem sie ständig durch die unendliche Weite der Wüste gezogen waren.
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Kaum hatten wir die aufgeschlagenen Zelte an diesem bemerkenswerten Ort erreicht, der offensichtlich mit größter Sorgfalt ausgewählt wurde, um einen Überblick über die umliegenden Ländereien zu bieten, empfing uns eine Gruppe von Menschen in traditioneller Kleidung. Unter ihnen stach der Scheich „Al-Ghali“ hervor, in seiner charakteristischen „Darra’a“, die mit ihrer himmelblauen Farbe die Tradition der Menschen der Wüste widerspiegelt. Diese bevorzugen diesen besonderen Farbton vor allem bei Feierlichkeiten und in bedeutenden Momenten ihres Lebens. Der Mann war überaus herzlich, einladend und strahlte Freude aus, als er mich an diesem Ort empfing, der, wie ich später erfuhr, nicht sein ständiger Wohnsitz war. Vielmehr zog er es vor, seine besonderen Gäste an diesem Platz zu empfangen.
Ein Ort voller Symbolik
Ich wusste nicht genau, warum er gerade diesen Ort wählte, aber man konnte spüren, dass er auf indirekte Weise seinen Ursprung und die Reinheit seiner Abstammung durch die Wahl dieses Platzes zum Ausdruck bringen wollte. Es war, als wolle er seinen Gästen sagen: „Ich stamme von hier. Meine Wurzeln liegen hier.“ Gleichzeitig vermittelte er die Botschaft, dass niemand mit ihm umgehen könne, ohne die Hintergründe und die tief verwurzelten Traditionen, auf die er sich stützt, zu verstehen. Sein Wesen schien zu sagen: „Sei mit mir so einfach, klar, authentisch und tiefgründig wie die Wüste selbst.“
Besonders beeindruckend war der musikalische Empfang durch eine Gruppe, die die Rhythmen von „Ahwach“ mit den Tänzen der „Qadra“ kombinierte. Dieser einzigartige Mix erzeugte eine harmonische Darbietung, die die Seele erfreute und die Authentizität der regionalen Kunst in ihrer vollen Pracht widerspiegelte.
Ach, diese Wüste! Wie bezaubernd sie ist, wenn sie sich unverhüllt zeigt und den Besucher nicht mit ihren verborgenen Geheimnissen verwirrt. Sie offenbart ihre Schönheit mit einer Klarheit, die zugleich schlicht und überwältigend ist.
Ein herzlicher Empfang
Der Scheich Al-Ghali war ruhig und gelassen, als er mich empfing. Ein Lächeln verließ nie seine Lippen. Einige seiner Begleiter reichten mir Datteln und Milch. Ich trank die Milch mit unvergleichlichem Genuss, besonders als einer der Begleiter mir leise zuflüsterte, dass es sich um Kamelmilch handelte. Dies verlieh dem Trinken eine zusätzliche Freude, da es meine erste Erfahrung mit dieser Art von Milch war.
Nach dem Empfang fanden wir uns in einem geräumigen Zelt wieder, das überwiegend aus Kamelhaar gefertigt war. Es wurde von robusten Seilen an den Seiten gespannt und von starken Säulen in der Mitte gestützt, die für Stabilität sorgten, genau wie es die Erbauer beabsichtigt hatten.
Im Inneren des Zelts waren farbenfrohe Teppiche kunstvoll ausgelegt, die den Eindruck erweckten, dass eine geschickte Hand - vermutlich die einer Frau - das Zelt mit zärtlicher Sorgfalt eingerichtet hatte. Über die Teppiche hinweg lagen verschieden geformte und bunte Kissen verstreut, die eine gemütliche Atmosphäre schufen. Vor einem besonders gestalteten Teppich, der den Platz für die Gäste markierte, befand sich ein vollständiges Teeservice mit Tablett, Gläsern, Teekanne und Karaffe. Alles war mit einer auffälligen Ordnung und bemerkenswerten Sauberkeit arrangiert, was den Eindruck eines luxuriösen Aufenthaltsorts vermittelte, der mit den besten touristischen Einrichtungen konkurrieren könnte.
Die Ordnung im Zelt
Scheich Al-Ghali lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen, während sich seine Begleiter an festgelegten Stellen im Zelt verteilten. Es wirkte, als sei diese Anordnung vorher abgesprochen… Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Scheich Al-Ghali zu, der mir eine Gelegenheit bot, etwas ganz Besonderes zu lernen. Hier saß ein Mensch aus Fleisch und Blut vor mir, der alles, was ich bislang nur theoretisch studiert hatte, lebendig verkörperte. Er war eine lebendige Manifestation von Traditionen und Bräuchen, die er mit natürlicher Selbstverständlichkeit lebte, als würde er sie mir in einer praktischen Lektion vorführen. Ich fühlte mich wie ein eifriger Schüler, der versucht, die Feinheiten zu begreifen, zu verinnerlichen und Schlüsse daraus zu ziehen.
Ich wartete darauf, dass einer der Begleiter den Tee für uns zubereiten würde. Zu meiner Überraschung war es jedoch Scheich Al-Ghali selbst, der diese Aufgabe übernahm. Hier begann ich zu vermuten, dass die Zubereitung des Tees möglicherweise Teil eines Rituals war, das entweder die Struktur des Stammes oder zumindest der Gemeinschaft, die mich heute empfing, widerspiegelte.
Die Begleiter des Scheichs brachten ihm voller Freude und Eifer das benötigte Teegeschirr. Es wirkte fast wie ein religiöses Ritual. Ihre Mienen zeigten eine Art von Ehrfurcht vor dem Scheich, während er selbst seine rätselhafte, selbstbewusste und doch bescheidene Haltung beibehielt. Diese Ausstrahlung - eine Mischung aus Zurückhaltung, Stolz und symbolischer Autorität - erinnerte mich an das Auftreten von Imamen, die vor einer Gemeinde das Gebet leiten.
Ich hatte diese Haltung der Imame oft beobachtet und versucht zu verstehen: ein leichtes, fast unmerkliches Lächeln und ein Ausdruck von Bescheidenheit, der dennoch tief in sich die große symbolische Stellung widerspiegelt, die sie in den Herzen der Menschen einnehmen. Mit der Zeit hatte ich diese Ausdrucksweise als charakteristisch erkannt - ein zarter Balanceakt zwischen Demut und der stillen Gewissheit ihrer sozialen und spirituellen Bedeutung. Hier, vor mir, lebte Scheich Al-Ghali diese Haltung in Perfektion.
In jenem Moment waren meine Augen besonders aufmerksam und aufnahmebereit, sie erfassten jedes Detail, Groß und Klein. An meiner Seite war Hussein, der junge Mann, der mich auf dem Weg zum Zelt des Scheichs begleitete. Mit seiner schlanken Statur und der offensichtlichen Energie strahlte er eine Präsenz aus, die darauf hindeutete, dass er eine besondere Gunst beim Scheich genoss.
Der Tee und die zeremonielle Atmosphäre
Bald darauf wurden uns die Teetassen gereicht. Der Tee hatte sich inzwischen in der gewünschten Form manifestiert, die sowohl der Scheich als auch die Anwesenden anstrebten. Dieser Tee war jedoch nicht wie der Tee in anderen Gegenden. In der Wüste achten die Menschen darauf, den Tee gründlich zu pressen, bis der verborgene Saft vollständig extrahiert ist. Er wird immer wieder in die Tassen gegossen, während die Augen der Anwesenden keinen Moment von ihm abwenden. Je dicker und konzentrierter der Tee wurde, desto mehr wurde er gefeiert, und die Anwesenden gaben ihn großzügig an die Gäste weiter. In diesem Moment beobachtete ich aufmerksam, wie der Tee zubereitet und serviert wurde, versuchte, sein Wesen zu verstehen.
Mit Dankbarkeit nahm ich mein Glas und betrachtete die Trockenfrüchte und Süßigkeiten, die vor mir auf dem Boden lagen. Der Scheich begann, mich den Anwesenden vorzustellen: "Dies ist Dr. Marwan, der Kollege meines Vetters an der Universität. Er ist Professor an der Universität in der Stadt Casablanca und ist zu uns gekommen, auf der Suche nach einer Heilung, die er hier bei uns finden wird, Inschallah. Er wird uns nicht verlassen, bis seine Krankheit sich bessert. Aber die Heilung wird erst vollends abgeschlossen sein, wenn er zu uns zurückkehrt, wenn die Wüstensonne stärker wird, und wir ihn im Sand vergraben, damit der Boden alle seine Leiden aufnimmt."
Alle Anwesenden richteten einen prüfenden Blick auf mich, als suchten sie nach einer Krankheit, die mich befallen haben könnte. Ich nickte bestätigend und nippte an meinem Tee, dessen Geschmack stark und durchdringend war - etwas, an das ich mich nicht gewöhnt hatte. Gleichzeitig bemühte ich mich, mich mit meiner vermeintlichen Krankheit abzufinden, die mir zugeschrieben wurde.
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Nach dem Nachtgebet rief mich der Scheich zu sich. Der Bote, ein junger Mann namens Hussein, trat mit ehrerbietiger Haltung an mich heran und sagte: „Der große Scheich begehrt dich zu sprechen.“ Ich ließ mir Zeit, um mich für die Kälte zu wappnen, die sich - trotz des schützenden Zelts - in meine Knochen fraß. Der junge Mann, der mir die Nachricht überbracht hatte, verschwand, hinterließ jedoch ein Lächeln in der Dunkelheit, das noch fortbestand, als er längst gegangen war.
Ich zog mich warm an. Einen Mantel, den ich mitgenommen hatte auf dringlichen Rat meines Kollegen, der mir mit Nachdruck eingeschärft hatte: „Die Kälte der Wüste ist tückisch. Man darf sie nicht unterschätzen, selbst wenn die Luft noch mild erscheint.“
Ich verließ das mir zugewiesene Gästezelt und machte mich auf den Weg zur großen Versammlungsstätte, jenem Ort, an dem ich unmittelbar nach meiner Ankunft empfangen wurde. Doch der Scheich war nicht dort. Stattdessen trat der junge Hussein auf mich zu und sagte mit gedämpfter Stimme: „Der Scheich erwartet dich an einem besonderen Ort. Eine Einsiedelei, sein Rückzugsort.“ Dann fügte er mit einem Anflug von Feierlichkeit hinzu: „Wir begegnen seiner Einsiedelei mit derselben Ehrfurcht wie einer Moschee.“ Ich erwiderte nichts, verstand jedoch sofort, worauf er hinauswollte: Ich sollte diesen Ort mit Respekt betreten. Ein Rat, den ich nicht brauchte - und doch gefiel mir Husseins Sorgfalt, seine leise Mahnung.
Wir durchquerten das Lager, ließen die Zelte hinter uns und glitten in eine Senke hinab - eine Oase, die sich erst aus der Nähe als solche zu erkennen gab. Von Weitem hatte sie nur wie ein dunkler, dichter Fleck gewirkt, fast wie ein Loch in der Landschaft. Erst als Hussein das Wort „Oase“ aussprach, verstand ich, wohin er mich führte. „Der Scheich hat diesen Ort für seine Zurückgezogenheit erwählt,“ erklärte Hussein. „Er liebt den Duft der Dattelpalmen, sucht ihre Nähe, wenn er sich bestimmten Dingen widmet.“
Der Pfad fiel steil ab, und der Boden unter unseren Füßen war tückisch. Hussein warnte mich leise vor dem Ausrutschen. Doch bald wurde der Untergrund fester, der Weg eben, und ich spürte, dass wir nun tatsächlich die Oase erreicht hatten. Der sandige Boden gab nach, doch nicht zu sehr - ein sicherer Halt für den, der seine Schritte bedacht setzte. Dann endlich, in der Dämmerung eines flackernden Lichts, hielten wir inne. „Wir sind da“, sprach Hussein und sah mich an. „Wenn du umkehren willst, werde ich hier warten und dir den Weg weisen.“
Das Geheimnis der Wüste
Der Eingang des Lehmhauses war niedrig. Ich zog meine Schuhe aus, so wie man es vor einem Tempel oder Mausoleum tun würde. Der Scheich empfing mich mit großer Herzlichkeit. Er erhob sich, bat mich, Platz zu nehmen, und entschuldigte sich für die bescheidene Einrichtung seiner Einsiedelei. Ich erwiderte die Geste, entschuldigte mich gleichfalls dafür, seine Zurückgezogenheit gestört zu haben. Doch wir verloren uns nicht lange in dieser Höflichkeitszeremonie.
Bald begann der Scheich zu erzählen, weitläufig, als wollte er sich Zeit lassen, als tastete er sich langsam an das Eigentliche heran. Oder prüfte er mich? Wollte er erst wissen, was für einer ich sei, ehe er mich in sein Inneres einließ?
Ich hörte ihm aufmerksam zu, sparsam mit meinen Reaktionen, einzig unterbrochen von Gesten der Höflichkeit und Zeichen des Respekts. Ich bemühte mich, den Eindruck eines Zuhörers zu erwecken, der nicht plaudert, nicht ausplaudert. Der bewahrt, was ihm anvertraut wird.
Der Scheich fragte mich: „Weißt du etwas über die Geschichte der Wüste?“ Ich antwortete, nicht ohne ein wenig Zurückhaltung: „Ja, ich kenne die allgemein verbreiteten Informationen darüber.“
Er nutzte die Gelegenheit, mir von seinem eigenen Erbe zu erzählen: „Es ist mir eine Ehre, dir mitzuteilen, dass mein Urgroßvater ein Kämpfer war. Er war einer der treuen Gefolgsleute des Freiheitskämpfers Ma' al-ʿAinain (ماء العينين), der sowohl gegen die Spanier als auch gegen die Franzosen kämpfte, die das Land von Nordmarokko bis nach Senegal unter sich aufteilten.“
Ich lächelte ihm zu und sagte: „Ja, ich kenne Scheich Ma' al-ʿAinain, aber mein Wissen über ihn ist begrenzt, es reicht nicht aus, um das Bild zu vervollständigen.“
Der Scheich sah dies als Gelegenheit, mich weiter mit Informationen zu versorgen. Er fuhr fort: „Scheich Ma' al-ʿAinain - sein eigentlicher Name war Mustapha ibn Scheich Muhammad al-Fadel - war nicht nur ein Freiheitskämpfer, sondern auch ein hochgelehrter Mann. Sein Name ist besonders mit der Stadt Smara verbunden, die er zu einem Zentrum des Wissens und des Widerstandes gegen die spanische Besatzung machte. Doch seine größte Tätigkeit fand in der Region Ouad Noun statt. Er pflegte enge Verbindungen zu den Herrschern in Fès, und mein Urgroßvater war einer seiner treuen Anhänger und Soldaten. Tatsächlich gehörte er zu den Delegierten, die dem Sultan in Fès die Treue schworen. Ma' al-ʿAinain hinterließ ein großes Erbe an mündlichem und schriftlichem Wissen. Unter seinen Schriften ist das Werk „Der Wegweiser der Gefährten zur Sonne der Eintracht" (دليل الرفاق على شمس الاتفاق) besonders bekannt. Er starb im Jahr 1910 unserer Zeitrechnung in der Stadt Tiznit.“
Als der ehrwürdige Scheich al-Ghali (الشيخ الغالي) über den kämpfenden Scheich Ma' al-ʿAinain sprach, beobachtete ich sein Gesicht mit großem Interesse, um zu erkennen, in welchem Maß ich bei ihm Akzeptanz gefunden hatte. Ich hegte die größte Hoffnung, dass die Fäden des Vertrauens zwischen uns gespannt werden und meine Reise erfolgreich sein möge.
Mit größter Sorgfalt wählte ich meine Worte: „Was ich bislang vernahm, hat meine Neugier geweckt, besonders in Bezug auf Ihre Person - vor allem im Hinblick auf die Wendepunkte in Ihrem Leben und Ihre Faszination für die verborgenen Schätze.“ In diesem Moment spürte ich, wie sich das Herz des Scheichs zu öffnen begann, ein echtes, ungekünsteltes Lächeln seine Züge erhellte. Es war, als hätte ich einen zarten Faden in seiner Seele berührt, und im nächsten Augenblick begann er, ohne auf den Lauf der Zeit Rücksicht zu nehmen, von sich selbst zu berichten.
„Ich bin in der Steppe aufgewachsen, nicht weit von der Stadt Laâyoune entfernt. Meine Leidenschaft für das Lernen trieb mich sowohl in städtische Zentren als auch in entlegene Gegenden. Laâyoune, als nächstgelegene Stadt, war mir stets besonders ans Herz gewachsen. Nach dem Ereignis der ‚Grünen Marsch‘ kamen viele Gelehrte zu uns, die aus Schenget [Dieser Name wurde früher als Synonym für das gesamte Gebiet des heutigen Mauretaniens verwendet, insbesondere in Bezug auf seine islamische Gelehrsamkeit und kulturelle Bedeutung.] und Tiznit stammten. So wurde Laâyoune zu einem Magneten für Wissensdurstige wie mich. Ich zog von den Gelehrten so viel wie möglich an Wissen, aber ich begnügte mich nicht damit, obwohl man mir nachsagte, ich sei nach dem Studium bei meinen Lehrmeistern besonders hervorgetreten. Ich strebte danach, all das Wissen zu erlangen, das mir zugänglich war, oder wenigstens einen kleinen Anteil davon.
Das Erbe der Wüste
Es war mein Glück, einen Gelehrten aus Sous zu treffen, dessen äußere Erscheinung sich von seinem Inneren unterschied. Er zeigte der Welt eine große Leidenschaft für alte Bücher, besonders für Manuskripte, doch in seinem Inneren suchte er nach etwas Bestimmtem. Er war überzeugt, dass sich dieses Etwas in den Bibliotheken der Wüste befand, verborgen in den weiten, unberührten Wüstenlandschaften. Manuskripte, die von der Zeit vergessen worden waren, die von keinem menschlichen Auge berührt worden waren.
Ich hatte ein tiefes Vertrauen zu ihm, wie er es auch zu mir hatte. Mein Lehrer benötigte jemanden, der ihn in den Weiten der Wüste begleitete. Einen vertrauenswürdigen, gelehrten Menschen, der sich in den Wegen der alten Zellen und Schreine auskannte. Denn er war sicher, dass sich dort wertvolle Informationen befanden - eine Karte, die den Weg zu verborgenen Schätzen wies, die von Kriegern, Räubern und Karawanenführern in der Wüste vergraben worden waren, als die Reisebedingungen zu schwer und die Straßen von Banditen gesperrt waren.
Diese Männer und Frauen hatten ihre Geheimnisse nur wenigen, ausgewählten Gelehrten und Geistlichen anvertraut, die diese aufzeichneten. Sie beschrieben den Ort, an dem sie ihre Schätze vergruben, in der Hoffnung, eines Tages dorthin zurückzukehren. Doch aus verschiedenen Gründen kehrten sie nie wieder zurück. Mit der Zeit übernahmen die Geister der Wüste die vergrabenen Reichtümer und bewachten sie. Nur diejenigen, die in der Lage waren, bestimmte Gebete und Zauber aus den heiligen Schriften zu rezitieren - wie die mystischen Formeln des Königs Suleiman (سليمان, Salomo) -, konnten die Wächter vertreiben und die Schätze heben.
Die Jahre, die ich an der Seite des Gelehrten aus Sous verbrachte, waren eine Zeit tiefgehender Erkenntnisse und wertvoller Einblicke. Unter seiner Anleitung erlernte ich verborgene Künste, uralte Rituale und geheime Praktiken, die es mir ermöglichten, Geister zu vertreiben und jene Schätze zu bergen, die seit unzähligen Jahren in der Tiefe der Erde ruhten - eingeschlossen in der dunklen Stille des Wüstensandes.
Der Scheich, dieser weise Mann aus Sous, zeichnete sich vor allem durch seine große Vorsicht aus - eine Eigenschaft, die mich bereits bei unserer ersten Begegnung beeindruckte. Sein Leben und seine Lehren waren von Zurückhaltung und Bedachtsamkeit geprägt, und oft mahnte er mich mit ernster Stimme: „Vertraue auf das Verborgene und bewahre dein Wissen für dich.“ Seine Worte, ebenso wie seine Taten, vermittelten mir stets das Bild eines Mannes, der bewusst im Schatten wirkte. Und so lernte auch ich, mich dieser Haltung anzunehmen - eine Lehre, die sich mir allmählich unauslöschlich einprägte.
Doch dann kam ein Moment, der mich fast verrückt machte: eines Morgens, als ich nach ihm suchte, fand ich ihn nicht. Keine Spur. Keine Antwort auf meine Fragen. Und was mich noch mehr beunruhigte: Niemand fragte nach ihm. Keiner schien überrascht zu sein, dass er verschwunden war. Stattdessen begannen die Leute, mich bei seinem Namen zu nennen, als wäre ich er und er wäre ich. Als wäre er in mir aufgegangen, als wäre mein Körper nur ein Schattenspiel von ihm. Ich verstand die Welt nicht mehr. Doch anstatt den Fehler zu korrigieren, ließ ich sie in diesem Glauben, denn vielleicht war es ja ein Teil dieses seltsamen Übergangs von Wissen und Wesen.
Was mich betrifft, so war ich nicht in Eile, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich fühlte, dass ich noch nicht reif genug war, dass mir noch ein Teil des Wissens und der Erfahrung fehlte, um den richtigen Schritt zu tun. So entschied ich mich, in aller Langsamkeit zu gehen, Schritt für Schritt, bis sowohl mein Inneres als auch mein Herz bereit waren, die Wahrheit zu empfangen. Die Suche nach dem, was mir bestimmt war, fand schließlich ihren Ort in der Wüste von Merzouga, diesem abgelegenen Fleck Erde, den ich in einer Vision so klar vor Augen hatte. Eine Vision, die immer wiederkam, und die, so schien es mir, die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verwischte.
Moulay Ali al-Sharif (um 1589–1659) war der Begründer der Alawiden-Dynastie, die bis heute in Marokko herrscht. Seine Abstammung wird auf den Propheten zurückgeführt. Im 17. Jahrhundert gelang es ihm, verschiedene Berber- und Araberstämme zu vereinen. Sein Sohn Moulay Mohammed al-Sharif setzte sein Werk fort und eroberte Marrakesch, wodurch die Alawiden zur dominierenden Dynastie wurden. |
n meiner Vision sah ich den Scheich, wie er sich mir näherte, mit einem Lächeln auf den Lippen, und dann deutete er nach oben und zeigte mir mit seiner Hand gen Norden. Meine Augen folgten seinem Finger und landeten auf einem Grab, das mit einem grünen Tuch bedeckt war und von Dattelpalmen umgeben war. Als ich diese Vision einigen Weisen erzählte, wiesen sie mir den Weg zu diesem Grab, es war das von Moulay Ali al-Sharif in der Stadt Rissani. Ich war fest entschlossen, ihm nahe zu sein. Doch tief in mir wusste ich, dass mein Herz sich nur der Wüste hingab. So wählte ich diesen Ort, diesen Teil der Wüste, der die Stille meines Geistes und die Ruhe meines Herzens trug.
Die Nacht verging und wir sprachen über viele Themen. Ich entnahm seinem Reden, dass Scheich al-Ghali nichts gegen meine Begleitung einzuwenden hatte, doch das Vorhaben, wie er mir erklärte, war nicht einfach. Es war von vielen Komplikationen umgeben, und es musste im Geheimen geschehen. Ich sollte mich an bestimmte Rituale halten, die mich in die Welt seiner Überzeugungen einführten - eine Welt, die ich bisher nur aus der Ferne betrachtet hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich von heute auf morgen ein Teil dieser Welt sein würde. Zudem bemerkte ich, dass der Scheich sich Sorgen um meine Sicherheit machte. Er befürchtete, dass ich Schaden nehmen könnte, wenn ich nicht rein im Herzen und aufrichtig im Glauben war.
In Wahrheit war mein Herz rein, doch mein Glaube galt der Wissenschaft, die ich ausübte, und dieser forderte von mir Neutralität gegenüber den Überzeugungen der Menschen, die sich meinen Beobachtungen oder Studien unterzogen. Ich war mir dessen voll bewusst, doch ich deutete dem Scheich an, dass ich in allem, was er sich wünschte, großzügig teilnehmen würde. Ich versprach ihm, mich voll und ganz an das zu halten, was er verlangte, und dass er von mir nur das erleben würde, was ihm behagen und seine Aufgabe erleichtern würde. So verließ ich sein Rückzugsort erst, als wir uns über alles einig geworden waren.
Ich verabschiedete mich vom Scheich, der mir mitteilte, dass er die Nacht mit Gebeten und dem Rezitieren des Korans verbringen würde, und dass er dies in seiner Abgeschiedenheit tat. Doch bevor ich ihn nach dem jungen Hussein fragte, tauchte der Junge aus dem Nichts auf, und rief mir zu: „Ich bin hier, Doktor, ich warte auf dich.“
Ich schlich hinaus in die Dunkelheit der Nacht und sah, wie Hussein seine elektrische Lampe anzündete, deren Licht mir den Weg wies und mich zu dem Ort führte, an dem ich meine erste Nacht in der Umarmung der Wüste verbringen würde.
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Nachdem ich meine Angelegenheiten mit dem ehrenwerten Scheich Al-Ghali geregelt hatte, beschloss ich, die verbleibenden Tage in der Wüste in vollen Zügen zu genießen - frei von Verpflichtungen und fern jeglicher Fesseln. Als ich mein Lager verließ, sprach ich mit Al-Hussain über meine Pläne. Er versicherte mir, dass er mir dabei behilflich sein werde, und erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass der Scheich ihn beauftragt hatte, mich überallhin zu begleiten. Es war also kein Zufall, dass er an meiner Seite war.
Al-Hussain erzählte mir von Ausstellungen junger Kunsthandwerker, die sich in Kooperativen zusammengeschlossen hatten, um die traditionellen Erzeugnisse der Region zu vermarkten. Diese Handwerke wurden zumeist von den Frauen des Landes gefertigt und bildeten ihre einzige Einkommensquelle - eine Notwendigkeit, da es in dieser kargen Gegend an großen Manufakturen oder fruchtbarem Land mangelte, auf dem sie hätten Arbeit finden können. Die Idee, solche Ausstellungen zu besuchen, gefiel mir zunehmend. Ich fasste den Entschluss, einige dieser Ausstellungen zu besuchen, und in mir regte sich ein leiser Hoffnungsschimmer - die vage, aber verlockende Möglichkeit, dort auf eine verborgene Kostbarkeit zu stoßen, die meine Forschungen über Magie in der Volkskultur bereichern könnte.
Ich kleidete mich der Unternehmung entsprechend, nahm ein Notizbuch mit, um Beobachtungen und wichtige Informationen festzuhalten, und fühlte mich bereit für das, was kommen mochte.
Als ich das Zelt verließ, fiel mein Blick auf Al-Hussain, der mich aus dem Fenster eines bronzefarbenen Wagens ansah.
Eilig trat ich an den Geländewagen heran, dessen Zustand mich überraschte. Ich hatte ein klappriges Fahrzeug erwartet, wie man es aus den Randbezirken großer Städte kannte, doch dieses übertraf meine Erwartungen bei weitem. Der Wagen strahlte eine unmissverständliche Robustheit aus, die zu dieser Umgebung passte.
Die Straße war zunächst schmal, doch mit der Zeit gewann sie an Weite. Immer wieder zweigten von ihr unzählige Sandwege ab, die ins Ungewisse führten. Schließlich erblickten unsere Augen die ersten Anzeichen menschlicher Besiedlung: ein einzelnes, schlichtes Gebäude aus Beton - ein einsames Café, das wie ein stiller Wächter am Straßenrand stand. Auf meine Anregung hin beschlossen wir, dort eine Pause einzulegen. Wir traten ein, und eine Tasse Kaffee wurde zu einem willkommenen Moment der Ruhe. Meine beiden Begleiter nahmen den Vorschlag bereitwillig an, fast so, als hätten sie nur darauf gewartet.
Kaum hatten wir das Fahrzeug verlassen, wurde deutlich, dass hier jeder jeden kannte. Der Wirt empfing uns mit der Herzlichkeit alter Freunde, und bald schon vertieften sich Al-Hussain, der Fahrer und der Cafébesitzer in ein lebhaftes Gespräch, das immer wieder von berberischen Redewendungen durchzogen war. Ich ließ die Gespräche an mir vorbeiziehen und genoss einfach die Wärme des Augenblicks. Ich jedoch lehnte mich zurück und ließ den Moment auf mich wirken - mit einer Tasse dampfenden Kaffees in der Hand, nach dessen vertrautem Geschmack ich mich so lange gesehnt hatte.
Wir genossen unseren Kaffee in der gastfreundlichen Obhut des Wirts, der uns das Gefühl gab, nicht bloß Gäste in einem einfachen Café zu sein, sondern Besucher in seinem eigenen Heim. Nach einem herzlichen Abschied brachen wir wieder auf. Unser Ziel war die Stadt Erfoud, wo wir eine Ausstellung für traditionelles Kunsthandwerk besuchen wollten.
Die Straße lag fast menschenleer vor uns, sodass der Wagen mit einer Geschwindigkeit dahinflog, die uns wertvolle Zeit ersparte. Der Fahrer schien an seiner Aufgabe Gefallen zu finden, als wäre die Fahrt für ihn ein Spiel, dessen Regeln er mit Geschick und Vergnügen beherrschte.
Doch plötzlich änderte sich die Situation. Ohne Vorwarnung lenkte der Fahrer den Wagen auf eine staubige Piste. Verwundert fragte ich nach dem Grund.
„Ich will die königliche Gendarmerie umgehen“, erwiderte er knapp. „Ich habe keine Lizenz für den Transport.“
Ich zeigte Verständnis, doch es missfiel mir, dass wir wertvolle Zeit verlieren würden. Wir tauchten tiefer in den unbefestigten Weg ein, und auf beiden Seiten des Wagens wirbelten dichte Staubwolken auf, die sich jedoch rasch hinter uns legten.
Die verstoßene ZauberinDer Wagen rumpelte über den unebenen Boden. Ich ließ meinen Blick über die karge, endlose Landschaft schweifen, die sich in ihrer Monotonie kaum veränderte und beinahe eine bedrückende Gleichförmigkeit ausstrahlte. Doch dann erregte etwas meine Aufmerksamkeit - ein einsam stehender, verlassener Verschlag. Neugierig wurde ich und wandte mich an Al-Hussain. Ich fragte nach der Bedeutung dieses Ortes, doch auch er wusste keine Antwort, sondern wandte sich fragend an den Fahrer, der mit der Gegend offenbar bestens vertraut war. „Das ist die Hütte der Verstoßenen“, erklärte er schlicht. „Sie ist eine Frau, die sich dunklen Künsten verschrieben hat. Viele Menschen hat sie mit ihrer Zauberei ins Unglück gestürzt. Schließlich wurde die Gemeinschaft ihrer überdrüssig und verbannte sie. Seitdem zieht sie rastlos umher - bis sie sich hier niederließ.“ Nachdenklich ließ ich seine Worte auf mich wirken, bevor ich entschlossen fragte: „Kann ich sie sehen?“ Der Fahrer schüttelte den Kopf. „Ich rate dir davon ab. Man sagt, sie sei verflucht - und von schrecklichen Hautkrankheiten gezeichnet, sodass ihr Anblick kaum zu ertragen ist.“ Doch seine Warnung steigerte meine Neugier nur noch mehr. Ich war fest entschlossen, einen Blick auf sie zu werfen. Der Wagen hielt an. Gemeinsam mit Al-Hussain stieg ich aus und schritt dem Verschlag entgegen, der nicht weit von der Straße entfernt lag. Mit jedem Schritt kam der Ort unheimlicher und faszinierender auf mich zu. Als wir näherkamen, bemerkte ich, dass an seinem Dach Fahnen in verschiedenen Farben flatterten - doch ihre einstige Strahlkraft war verblichen. Erst aus nächster Nähe ließen sie sich noch mit Mühe erkennen. Die Tür der Hütte war morsch und von tiefen Rissen durchzogen. Darüber prangte eine abscheuliche Maske - ein groteskes Abbild, das mir wie eine stumme Herausforderung erschien, ein trotziger Bann, den diese verbannte Frau gegen die Welt erhoben hatte. Ich konnte nicht glauben, was meine Augen sahen. Zweifel nagten an mir, und ohne weiter nachzudenken, stieß ich die klapprige Tür auf. Was sich dahinter offenbarte, ließ mich für immer verstummen. Die Frau stand nackt vor mir, ungeschützt und entblößt, doch nicht in einer Weise, die mit Menschlichkeit oder Scham behaftet war. In ihrem Zustand glich sie mehr einem Tier als einem Menschen - ihr Körper war unnatürlich mager, ihr Rücken gekrümmt, ihre Haut von rauen Verkrustungen überzogen. Doch in all dieser Zerrissenheit wirkte sie weder bedrohlich noch bösartig - nur erschöpft, ausgelaugt vom Leben. In ihren Augen lag ein fremdartiger Glanz, jener unstete Blick, den man oft bei jenen findet, die der Wahnsinn für sich beansprucht hat. Al-Hussain packte mich plötzlich am Arm. Flehend drängte er mich zum Aufbruch. Er war überzeugt, dass die Frau verflucht sei und uns ihr Unheil treffen würde, wenn wir länger blieben. Ich zögerte einen Moment, doch dann ließ ich mich von seiner Angst mitreißen. Gemeinsam eilten wir zurück zum Wagen - jenem vertrauten, schützenden Gefährt, nach dem wir uns nun sehnten, als könne es uns aus den Fängen des Unheils entreißen. Dort fanden wir den Fahrer vor, wie er leise Gebete murmelte - Worte, die er vermutlich als Schutz vor dem Fluch der verstoßenen Zauberin hoffte. Kaum hatte sich die Tür hinter uns geschlossen, setzte sich der Wagen mit unbändiger Kraft in Bewegung. Der Fahrer trieb ihn voran, als wolle er den Schatten der Hexe abschütteln, als fürchte er, ihr Fluch könne sich an uns heften. Erst als wir wieder den Asphalt erreichten, atmeten wir auf. |
Die Straße war schmal und in einem erbärmlichen Zustand, doch sie war ein Zeichen der Zivilisation. Nach etwa einer Viertelstunde Fahrt bogen wir erneut auf die Hauptstraße ein. Sie war gut ausgebaut und erlaubte eine zügige Weiterfahrt in Richtung unseres Ziels.
Das Gebäude des Kooperativen-Ausstellungszentrums war schlicht, als sei es erst kürzlich entstanden. In dieser Hinsicht ähnelte es der Stadt, die es beherbergte: Erfoud war keine uralte Siedlung mit jahrhundertealter Geschichte, sondern eine vergleichsweise junge Stadt, gegründet zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den französischen Kolonialherren. Was sie jedoch besonders auszeichnete, war die wunderschöne Oase, die sie umgab - ein fruchtbares Land, das sie zu einer Hochburg der Dattelproduktion machte. Der Ruf ihrer erlesenen Früchte war weit über die Region hinaus bekannt und hatte sich tief in das Bewusstsein der Menschen eingeprägt.
Kaum hatten wir das Ausstellungsgelände betreten, stießen wir auch schon auf das wohl charakteristischste Erzeugnis dieser Gegend: Datteln in exquisiter Verpackung, deren kunstvolle Präsentation ihre natürliche Schönheit bewahrte und sie für Käufer umso verlockender machte. Und in der Tat zählte ich zu diesen Käufern: Ich bat Al-Hussain, einige der besten Sorten für mich auszuwählen. Sichtlich erfreut über diese Aufgabe, wählte er mit Sorgfalt die feinsten Dattelpackungen des Marktes aus.
Anschließend wandten wir uns den traditionellen Handwerkskünsten zu. Die ausgestellten Stücke waren von beeindruckender Schönheit, lebendige Zeugnisse einer tief verwurzelten Kultur. Besonders ins Auge fielen die kunstvollen Berberschmuckstücke - Ringe, Armreifen, Halsketten und unterschiedlich große Perlen, von denen die meisten in warmen Gelbtönen oder kräftigem Orange schimmerten.
Nachdem wir uns mit den nötigen Einkäufen eingedeckt hatten, beschlossen wir auf meinen Wunsch, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, damit ich einige Fotos von ihren Sehenswürdigkeiten aufnehmen konnte. Dies erwies sich als eine gute Idee, die es uns ermöglichte, eine angenehme Strecke zu Fuß zu zurückzulegen und unsere Glieder zu aktivieren, die durch das lange Sitzen im Auto etwas steif geworden waren.
Nach einem wundervollen Spaziergang durch die Stadt Erfoud kehrten wir wieder in die Wüste zurück. Diese Erkundungstour hatte ausgereicht, um meine Verbindung zu dieser Gegend zu vertiefen. Ich empfand eine wachsende Vertrautheit mit diesem Ort und seinen Menschen, ja, mehr noch - es war, als sei ich längst einer von ihnen, als hätte ich hier bereits eine lange Zeit meines Lebens verbracht. Die Wüste schien nun weniger fremd, fast wie ein Teil von mir selbst zu sein.
Ich erkundigte mich nach Scheich Al-Ghali, doch man teilte mir mit, dass er sich noch immer in seiner Klausur befände. So entschied ich, ihn nicht zu stören, war mir jedoch sicher, dass wir uns nach dem Abendgebet begegnen würden - wenn die Nacht sich wie ein dichter Mantel über die Oase legte und sie in ihrem dunklen Gewand umhüllte. Bis dahin verflog die Zeit in geselliger Runde.
Ich setzte mich zu einigen Bewohnern, die sich in den Zelten zurückgezogen hatten. Wir tranken Tee nach den bekannten, feierlichen Ritualen und unterhielten uns über die Wüste, über Casablanca - jene große Stadt, zu der jeden Einzelnen von ihnen eine Verbindung zu bestehen schien. Fast jeder hatte einen Verwandten, der dort arbeitete und nur zu den Feiertagen in die Heimat zurückkehrte. Ihre Erzählungen schienen die Entfernung zur Stadt zu verringern und mich in eine Welt zu entführen, die mir bisher fremd gewesen war.
Wie ich es erwartet hatte, erschien Al-Hussain unmittelbar nach dem Nachtgebet, um mich zur Einsiedelei des Scheichs Al-Ghali zu begleiten. Meine Freude darüber war grenzenlos. Während wir den dunklen Pfad entlanggingen, stolperte ich beinahe über meine eigenen Schritte - so sehr war ich in Gedanken versunken. Al-Hussain hingegen sprühte vor Begeisterung, redete unaufhörlich, während ich ihm lächelnd zuhörte. Die Dunkelheit des Pfades schien durch seine Worte erleuchtet zu werden.
Als wir unser Ziel erreichten, klopfte er an die Tür. Der Scheich lud mich ein einzutreten, während Al-Hussain sich verabschiedete und in der Dunkelheit verschwand. Es war ein seltsames Gefühl, alleine in die Einsiedelei zu treten, doch zugleich spürte ich eine wachsende Erwartung.
Ich grüßte den Scheich so respektvoll wie möglich und nahm dann denselben Platz ein, auf dem ich bereits am Vorabend gesessen hatte. Er sah mich an und sprach: „Ich hoffe, du hast einen guten Tag verbracht.“
Da ich mir sicher war, dass Al-Hussain ihn bereits über unsere Erlebnisse unterrichtet hatte, erwiderte ich: „Es war ein guter Tag an seiner Seite. Er ist ein ehrenwerter und kluger junger Mann.“
Der Scheich nickte anerkennend und sagte dann: „Die Wüste ist von Natur aus verschlossen. Sie gibt ihre Geheimnisse nicht auf einmal preis.“
Diese Worte weckten in mir den Drang, ihn nach der Wahrheit über die ausgestoßene Frau zu fragen. Also zögerte ich nicht lange und erkundigte mich: „Das stimmt wohl. Und genau deshalb wollte ich dich, geehrter Scheich, nach jener verstoßenen Frau fragen. Was ist ihre Geschichte?“
Ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine Lippen, ehe er antwortete: „Ihre Geschichte ist schlicht. Sie ist das Schicksal eines Menschen, der sich anmaßt, etwas zu tun, das nicht in seinen Bereich gehört. Magie ist eine Wissenschaft, eine Kunst, eine Frage von Scharfsinn und Umsicht. Wer sich ohne das nötige Wissen daran wagt, den trifft ein Schicksal, das er nicht vorhersehen kann. Ihr wurde der kleine Erfolg, den sie errang, zum Verhängnis. Sie ging weiter, ohne Vorsicht, ohne Maß - und ihre Strafe hast du mit eigenen Augen gesehen.“
Obwohl seine Worte klar und fast schon abschließend klangen, fühlte ich eine zunehmende Unruhe in mir, als würde er etwas Wichtiges verschweigen. Ich bemerkte, dass der Scheich sich in Andeutungen hüllte, dass er mehr andeutete, als er offenbarte. So begnügte ich mich mit dem, was er mir sagte, und drängte nicht weiter nach. Es war ein Gefühl, das mich begleitete, als sei ich an der Schwelle zu etwas Größerem, aber noch nicht bereit, es zu verstehen.
Als es Zeit wurde, sich zu verabschieden, sprachen wir über das eigentliche Anliegen meiner Reise. Diesmal waren seine Worte klarer als zuvor, und wir einigten uns auf einige wesentliche Punkte. Schließlich verließ ich seine Einsiedelei und machte mich auf den Weg zu meinem Nachtlager. Dort erwartete mich bereits Al-Hussain, stets pünktlich und pflichtbewusst in seiner Aufgabe - einer Aufgabe, die ihm der Scheich Al-Ghali selbst anvertraut hatte. In diesem Moment wurde mir einmal mehr bewusst, wie sehr die Wege von Al-Hussain und mir miteinander verwoben waren.
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Der ersehnte Tag war gekommen. Der Scheich verkündete, dass er eine Reise tief in die Wüste unternehmen würde, um entfernte Verwandte zu besuchen - Menschen, die sich bewusst für ein isoliertes Dasein entschieden hatten, um ihre Sitten und Traditionen vor jeglicher Veränderung zu bewahren. Er erklärte zudem, dass er mich zu diesem Zweck mitnehmen würde, da meine Reise auch eine heilende Bestimmung hätte. Niemand widersprach ihm, vielmehr segneten alle seine Unternehmung. So begannen die Vorbereitungen für eine Fahrt, die Stunden in Anspruch nehmen würde und uns erst am späten Nachmittag an unser Ziel bringen sollte. Als Begleiter für diese Reise wählte der Scheich den jungen Hussein.
Mit besonderer Sorgfalt belud der Scheich eigenhändig sein Kamel, während er Hussein anwies, sich um meine Vorbereitung zu kümmern und mir beim Besteigen meines Reittieres behilflich zu sein. Schließlich setzte sich unser kleiner Zug in Bewegung: drei Kamele und ein Esel, den der Scheich mit allem Notwendigen für seine Mission beladen hatte. So zogen wir dahin - der Scheich an der Spitze, ich auf meinem Kamel hinter ihm, gefolgt von Hussein, während der Esel mit seiner Last gemächlich den Abschluss der Karawane bildete und sich im Gleichklang der Kamelhufe vorwärtsbewegte. Der ruhige Rhythmus der Reise und die Weite der Wüste ließen uns eins werden mit der unermesslichen Stille, die uns umgab.
Die Wüste erstreckte sich wie ein endloser Teppich, dessen ferne Konturen sich in scheinbarer Gleichförmigkeit verloren. Doch wer sich ihr näherte, dessen Blick wandelte sich - und mit ihm die Wahrnehmung. Jeder Flecken Erde, den die Hufe der Tiere berührten, trug seine eigenen, unverwechselbaren Merkmale, die sich dem offenbarten, der mit wachsamer Aufmerksamkeit hinsah. Diese unendliche Weite zog mich in ihren Bann, und ich spürte, dass sich die Landschaft langsam, aber sicher in meinem Inneren festsetzte.
Wir setzten unseren Weg über eine lange Strecke fort, bis Scheich al-Ghali schließlich anordnete, eine Rast einzulegen. Wir lenkten unsere Tiere zu einem Ort, an dem zwei oder drei Palmen wuchsen, und der Scheich entschied, dass wir in deren Nähe verweilen sollten. Die Kamele knieten nieder, Hussein lud die Traglast des Esels ab, und wir suchten den Schatten der drei Palmen auf. Der Moment der Pause schien mir wie eine Oase inmitten der Wüste des Geistes, ein seltener Augenblick des Innehaltens.
Der Scheich sprach: „Ganz in der Nähe gibt es eine Quelle, zu der die wilden Tiere zum Trinken kommen. Ihr solltet also achtsam sein. Doch ihr könnt euch für einen kurzen Moment der Ruhe hingeben, bevor wir unseren Weg fortsetzen.“ Wir rasteten für eine Weile, dann brachen wir wieder auf, unter dem unermesslichen blauen Firmament, über den endlosen, golden schimmernden Sandboden. Die Wüste schien mit jedem Schritt lebendiger zu werden, und ich fragte mich, was uns noch bevorstand.
Nach einem langen Marsch erreichten wir schließlich unser Ziel. Der Ort war wenig bemerkenswert und schien geradezu gewöhnlich, was wohl ein Teil seiner Geheimnisse und der Geheimnisse des Scheichs al-Ghali war. Der Platz war geschickt getarnt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Das einzige Erkennungsmerkmal war ein verlassener Brunnen, den die Kamele mit Erschrecken betrachteten, als sie sich ihm näherten. Sie vermochten es nicht, eine unsichtbare Grenze zu überschreiten, die sie von ihm trennte. Der Scheich wusste davon und teilte mir das mit. Dieser scheinbar unscheinbare Ort war jedoch der Schlüssel zu etwas Größerem, das ich noch nicht begreifen konnte. So ließen wir die Kamele zurück und setzten unseren Weg zu Fuß fort, dem Ziel entgegen.
Der Scheich zog ein verwittertes, farbloses Blatt hervor, auf dem kaum etwas zu entziffern war, und breitete es vor uns aus. Ich konnte den Inhalt nicht verstehen. Dann begann er, Schritte zu zählen, und als er eine bestimmte Anzahl erreicht hatte, bog er nach rechts ab. Dann wiederholte er denselben Vorgang, und wir - sowohl ich als auch der junge Hussein - beobachteten ihn, stumm und mit offenem Mund. Keiner von uns konnte ein Wort hervorbringen, wir folgten nur seinen Bewegungen in völliger Stille. Die Anspannung in der Luft war greifbar, und ich spürte, wie sich die Bedeutung dieses Augenblicks langsam entfaltete.
Schließlich hielt der Scheich an, schaute in alle Richtungen, als suche er nach etwas Bestimmtem. Plötzlich traten menschliche Züge in sein Gesicht, als hätte er sein Ziel gefunden. Er rief mich zu sich, und ich eilte zu ihm. Dann sagte er: „Siehst du die Palme dort drüben?“ Er deutete auf eine einsame Palme und fuhr fort: „Dort, in ihrer Nähe, ist der Schatz vergraben.“ Ich war völlig perplex. Was sollte dieser Schatz sein? Ein magischer Fund? Eine Offenbarung?
Ich war von dem, was er tat, vollkommen verblüfft und in Gedanken versunken. Er wiederholte seine Worte, und ich verstand nicht ganz, was er mir damit sagen wollte. Wollte er, dass ich etwas Bestimmtes tat, oder teilte er mir lediglich mit, was er entdeckt hatte? In diesem Moment fragte ich ihn: „Was soll ich tun?“ Er antwortete: „Nichts. Ich werde alles tun. Du gehst mit Hussein und bereitest das Frühstück vor.“ In meiner Verwirrung war ich froh, etwas tun zu können, dass mich von meinen Gedanken ablenkte.
Ich und der junge Hussein begaben uns zu dem Ort, an dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, während der Scheich al-Ghali sich in Richtung des von ihm bezeichneten Ortes bewegte.
Dort setzte er sich auf den Sand und begann, Verse aus dem heiligen Koran zu rezitieren. Seine Worte vermischten sich mit dem Wind, als ob sie den Hauch der Wüste selbst in sich trugen. Während wir im Lager mit den Vorbereitungen für das Fastenbrechen beschäftigt waren, schweiften unsere Blicke immer wieder zu ihm hinüber.
Zunächst schien es, als sei er ganz in seine Gebete vertieft. Doch dann bemerkten wir, wie er langsam aufstand, als würde ihn eine unsichtbare Kraft rufen. Sein langer Umhang flatterte leicht im Abendwind…
Alle wussten, warum er sich zurückgezogen hatte. An genau dieser Stelle vermutete er den verborgenen Schatz, von dem nur wenige wussten. Mit einem alten, vergilbten Pergament in der Hand bewegte er sich langsam, seine Schritte bedächtig, als horchte er auf Zeichen, die nur er verstehen konnte.
Mein Blick blieb auf den Scheich gerichtet. Ich sah, wie er den Boden mit der Spitze seines Dolches bearbeitete, eine Handvoll Sand aufhob und ihn mit einem leisen Murmeln durch die Finger rieseln ließ. Die Szene hatte etwas Magisches, als sei der Scheich dabei, mit der Wüste selbst zu sprechen.
Dann geschah es.
Ein Zittern ging durch den Boden. Es war kaum spürbar, mehr eine Empfindung als ein echtes Beben. Die Luft, eben noch warm von der Hitze des Tages, wurde mit einem Mal eisig. Der Wind, der sanft durch das Lager gestrichen war, heulte plötzlich in kurzen, geisterhaften Stößen über die Dünen hinweg.
Die Männer verstummten.
Ich kniff die Augen zusammen. Der Scheich hatte sich aufgerichtet und starrte in die Dunkelheit, als lauschte er einer Stimme, die nur er hören konnte. Dann fiel sein Schatten auf den Sand - ein Schatten, der nicht allein war.
Alle sahen es. Neben dem Scheich zeichnete sich eine zweite Silhouette ab. Doch niemand war dort.
Plötzlich wirbelte der Sand um ihn herum auf, als würden unsichtbare Hände daran rütteln. Der Scheich machte einen schnellen Schritt zurück, hielt inne - und dann geschah das Unglaubliche: Der Wind kam völlig zum Stillstand. Kein Laut, kein Flüstern. Eine unnatürliche Stille legte sich über die Wüste.
Der Scheich rührte sich nicht. Minuten vergingen. Dann hob er erneut eine Handvoll Sand, ließ ihn langsam durch die Finger gleiten - und verneigte sich leicht. Es war, als habe er eine unausgesprochene Botschaft erhalten.
Er wandte sich um und kam mit ruhigen, bedächtigen Schritten zurück zum Lager. Niemand sprach, bis er schließlich ans Feuer trat, den Männern ins Gesicht sah und mit ernster Stimme sagte: „Wir brechen ab.“
Die Enttäuschung war groß - besonders bei Hussein, der fest daran glaubte, dass wir heute etwas Großes finden würden. Doch niemand widersprach dem Scheich. Wir alle hatten das Gefühl, einem Unheil entkommen zu sein.
Ein leiser Windhauch zog durch das Lager, als würde er seine Worte bestätigen.
„Aber eines Tages…“, fuhr der Scheich fort und sah mich direkt an, „wird die Zeit kommen. Und dann werde ich dich rufen.“. Ich nickte nur, denn mein Herz war noch immer erfüllt von den unheimlichen Geschehnissen der letzten Stunden.
Die Wüste hatte ihr Geheimnis bewahrt. Doch sie hatte auch eine Verheißung hinterlassen… So verließen wir den geheimnisvollen Ort. Die Wüste nahm uns wieder auf, als wäre nichts geschehen.
Über Mustapha Laghtiri
Übersetzung aus dem Arabischen
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