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Im Schatten der Gegenwart - Notizen zu Faschismus

Formen der Macht wirken heute nicht mehr durch Zwang, sondern durch Gewöhnung. Sie formen Verhaltensweisen, beschleunigen Rhythmen und verengen Aufmerksamkeit, ohne sich als Gewalt zu zeigen. Abdelhak Najib beschreibt eine Gegenwart, in der der Mensch zunehmend funktional wird: verfügbar, angepasst, beschäftigt – während Denken, Bildung und innere Unabhängigkeit in den Hintergrund treten. Ihm geht es weder um historische Vergleiche noch um moralische Urteile, sondern um konkrete Mechanismen: um Technologie als Struktur, um Konformität als Erwartung und um die stille Entwertung des Individuums: Was bleibt vom Menschen, wenn Widerstand nicht mehr verboten, sondern überflüssig gemacht wird?

Technologie, normierte Denkformen und permanenter Druck. Foto mit Hilfe von ChatGPT erstellt

Abdelhak NajibIch habe dieses Buch Fascismes (Faschismus im Plural) genannt, weil mir früh bewusst wurde, dass das, was wir heute erleben, nicht mehr in die engen historischen Kategorien eines einzigen Faschismus passt. Es geht nicht um die Rückkehr alter Symbole oder bekannter Herrschaftsformen, sondern um eine Vielzahl von Mechanismen, die sich in unterschiedlichen Gestalten zeigen - oft unauffällig, bisweilen sogar verborgen hinter den Versprechen von Fortschritt, Sicherheit oder Modernität.

Beim Schreiben dieses Buches ging es mir nicht darum, Anklage zu erheben, sondern darum, aufmerksam zu beschreiben, was mit dem Menschen in den gegenwärtigen Gesellschaften geschieht. Mich beschäftigt die Stellung des Individuums in einer Welt, die zunehmend von Technologie, von normierten Denkformen und von permanentem Druck geprägt ist. Ich beobachte, wie Konformität zur stillschweigenden Erwartung wird und wie das Innehalten zum Denken allmählich als Abweichung erscheint.

Dieses Buch ist aus der Feststellung entstanden, dass der Mensch heute häufig auf eine Funktion reduziert wird: als Konsument, als Datenträger, als steuerbares Element innerhalb übergeordneter Systeme. Die beschworene Moderne erscheint mir dabei weniger als Befreiung denn als schleichende Verarmung - eine Verarmung der inneren Freiheit, der Vorstellungskraft und der Widerstandskraft. Nicht durch offene Gewalt, sondern durch Gewöhnung, Ablenkung und Erschöpfung.

Ein wesentlicher Teil meiner Überlegungen kreist um die Sinnfrage und um das, was verloren geht, wenn der Mensch der Auseinandersetzung mit sich selbst ausweicht. Die Flucht vor der eigenen inneren Wirklichkeit, vor dem, was man hätte werden können, gehört zu den stillen Dramen unserer Zeit. In diesem Zusammenhang hat mich die Gedankenwelt von Carl Gustav Jung begleitet, insbesondere seine Beobachtung, dass der Mensch fast alles tut, um der Begegnung mit der eigenen Seele zu entgehen.

Ich wollte zudem zeigen, dass der Druck auf Bildung, Denken und Reflexion kein Zufall ist. Eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder dauerhaft unter Spannung hält, nimmt ihnen Zeit und Raum, sich zu bilden, zu urteilen und eigenständig zu denken. Wo Denken systematisch erschwert wird, erodiert die Fähigkeit zum Widerstand. Die Geschichte hat uns dies vielfach gelehrt, und Heinrich Heine hat es mit bemerkenswerter Klarheit formuliert.

Das Nein, von dem hier die Rede ist, hat nichts Spektakuläres. Es ist weder ein heroischer Akt noch eine moralische Pose. Es ist eine innere Entscheidung: die Weigerung, sich vollständig zu einer manipulierbaren Struktur reduzieren zu lassen, die jeder Widerstandskraft beraubt ist - bisweilen verletzlicher noch als das Tier, das zumindest instinktiv auf Bedrohung reagiert.

Philosophie, Literatur und Kunst erscheinen mir nicht als ästhetische Rückzugsorte, sondern als notwendige Räume, in denen der Mensch seine Komplexität bewahren kann. Sie liefern keine technischen Lösungen, ermöglichen jedoch Abstand, Tiefe und eine Sprache für das Unmessbare. Schreiben ist für mich kein Akt der Demonstration, sondern ein Versuch, Erfahrung zu ordnen.

Das Bild unserer Zeit, das sich in diesem Buch zeigt, ist nüchtern und ohne Überhöhung. Ich sehe eine Epoche großer technologischer Leistungsfähigkeit und zugleich tiefer innerer Leere. Menschen, die vernetzt sind und doch von sich selbst getrennt leben. Eine Welt aus Kabeln, Netzwerken und Systemen, die Effizienz erzeugt, aber wenig Sinn.

Wenn dieses Buch eine Perspektive eröffnet, dann keine kurzfristig optimistische. Es ist vielmehr eine Einladung zur Aufmerksamkeit. Zur Rückgewinnung des Denkens. Zur Anerkennung menschlicher Verletzlichkeit und Würde. Widerstand beginnt für mich nicht im Außen, sondern dort, wo der Mensch sich weigert, sich selbst preiszugeben.

Über den Autor Abdelhak Najib
Übersetzung aus dem Französischen