Aufbruch zur rechten Zeit - Im Licht des letzten Atems
Aufbruch zur rechten Zeit ist kein Roman im klassischen Sinn, sondern eine stille Erzählung über Liebe, Geduld und die zarte Grenze zwischen Leben und Tod. Der marokkanische Autor Mounir Lougmani verwandelt darin den Abschied von seiner Mutter in eine persönliche und zugleich universelle Erfahrung. Was er beschreibt, ist nicht der Tod selbst, sondern das Leben im Angesicht des Todes - das Warten, das Hoffen, das Begreifen.

Zwanzig Tage verbringt der Erzähler im Krankenhaus, getrennt von seiner Mutter durch eine Glasscheibe. Dieses „blaue Glas“ wird zum zentralen Symbol der Geschichte: Es steht für die unsichtbare Schwelle, die Menschen voneinander trennt, und zugleich für die Verbindung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Lougmani beobachtet, wie Maschinen den Atem ersetzen, wie Pfleger und Ärzte zu stillen Begleitern des Unvermeidlichen werden, und wie inmitten dieser technischen Welt plötzlich etwas aufleuchtet, das über alles Menschliche hinausweist - ein Hauch von Frieden, der aus einer anderen Dimension zu kommen scheint.
In einer schlichten, aber poetischen Sprache beschreibt Lougmani den inneren Wandel des Sohnes. Aus Angst wird Hingabe, aus Schmerz wird Erkenntnis. Der Erzähler lernt, dass Geduld nicht Warten bedeutet, sondern Vertrauen - und dass Liebe nicht endet, wenn das Leben endet. Der Tod erscheint hier nicht als Bruch, sondern als Weitergehen, als Heimkehr.
Gerade die Zurückhaltung des Autors verleiht der Erzählung ihre Kraft. Er vermeidet große Worte und theologische Erklärungen. Stattdessen zeigt er, wie Spiritualität im Alltäglichen wurzelt: im Rhythmus der Geräte, im gedämpften Licht, im stillen Gebet einer Schwester, die die Namen der Patienten heimlich in ein Notizbuch schreibt. Alles, was geschieht, wird Teil einer stillen Liturgie, die zeigt, dass Barmherzigkeit selbst dort existiert, wo Hoffnung zu Ende scheint.
Aufbruch zur rechten Zeit ist ein Buch, das langsam gelesen werden will. Es lehrt, dass der Tod kein Feind ist, sondern ein Lehrer - und dass in jedem Abschied ein leises Versprechen von Wiedersehen liegt. Lougmani lädt uns ein, das Unsichtbare zu spüren und die Würde des Sterbens als Teil des Lebens zu erkennen.
Am Ende bleibt kein Gefühl von Dunkelheit, sondern von Licht. Das Buch endet nicht mit Verlust, sondern mit Verwandlung. Es ist ein stilles Gebet für alle, die geblieben sind, und ein Lied des Friedens für jene, die gegangen sind.