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Platz Boujloud oder „das Königreich der Mauersegler“

Ba[1] Driss, der letzte Geschichtenerzähler in Fes, saß auf seinem Stoffhocker wie ein verblasstes Denkmal, das die verklungene Lebendigkeit des Platzes wieder zu beleben versucht, einem Platz, der mit seinen vielen Halqas[2] (Kreis von Zuschauern) von Straßenmusikern, Tänzern, Akrobaten und Geschichtenerzählern gefüllt war.

Fes Platz Boujloud, Harrbah, Foto: Eberhard Hahne

Die Stimmen von den legendären Geschichtenerzählern wie „Al-Janati“, „Barq Al-Ayyar“, „Sied Al-Ghaly“ oder “Harrbah“, dessen Geschichten sich wie aus einer fernen Zukunft anhörten. Ba Driss erzählte von Dingen, die lange noch nicht erfunden waren. "Aicha Bettit" war Komiker. Er spielte vorwiegend Frauenrollen. Seine Favoritenrolle war die der Bäuerin Aicha Bettit, was dazu führte, dass man ihm mit der Zeit den Spitznamen "Aicha Bettit" gab. Sein Partner in der Halqa war Sied Al-Hussein, der die Rolle eines reichen Fassi-Spießers innehatte (Fassi sind Einwohner aus der Stadt Fes).

Und dann die Klänge der Tamburine und der Ghaita (eine Art Flöte) der Schlangenbeschwörer, das Echo von Messingglocken der Gerraba (Wasserträger): sie alle bildeten den Herzschlag des Place Boujloud.

Dieser Platz wurde in den 80er Jahren restauriert, Zementplatten wurden verlegt und Schauplätze angelegt, dann verschwanden die Schausteller und mit ihnen die Atmosphäre, die einst für Unterhaltung und Abwechslung der einfachen Leute sorgte. Sein Ruhm aber bleibt unauslöschlich in Erinnerung.

Platz Boujloud während des Festivals der sakralen Musik im Juni, Foto: Eberhard Hahne

Der Platz ist nicht mehr das Königreich der Unterhaltung, zu dem täglich nicht nur aus Fes Hunderte einfacher Menschen strömten, um jene Momente zu erleben, in denen vielfältige Geräusche und deren Widerhall von den umgebenden Mauern dem Platz eine einzigartige Atmosphäre verliehen. Jetzt sind die unzähligen Mauersegler allein, die immer noch Abend für Abend ihre Runden am Himmel drehen.  

Ursprung des Namens "Boujloud"

Fes Platz Boujloud während des Weltfestivals der Sakralmusik, Foto: Eberhard Hahne

In Scharen nisten die Mauersegler in den Löchern der hohen Mauern, die den Platz von Süden, Osten und Westen umgeben. Diese hohen Mauern, die im 13. Jahrhundert während der Herrschaft der Almohaden (1147-1269) errichtet wurden und in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieben, zeugen von einer Historie, deren Rätsel bis heute nicht in allen Details geklärt wurden. Allein schon der Ursprung des Namens ist ungeklärt, Boujloud (Pate der Leder) oder Abi Al Jounoud (Pate der Soldaten) ist der Name des Platzes, unter dem er heute bekannt ist und auf den der deutsche Reisende Gerhard Rholfs, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Fes lebte, ein ausführliches Kapitel über diese Stadt in seinem Buch "Mein erster Aufenthalt in Marokko“ schrieb. In einer Fußnote vermerkte Gerhard Rholfs: „Bu-Djelud, Vater der Felle“. Wahrscheinlich befand sich hier am Flusse Sebu eine Gerberei.“

Oder ist der Name aus der Epoche abgeleitet, als sich auf dem Platz Soldaten der Almoraviden (1046-1147) und Almohaden (1147-1269) auf ihrem Weg nach Andalusien versammelten? Diese Interpretation vertritt der Schriftsteller Henri-Marie de la Croix (1850-1927, Paris) in seinem Buch "Historische Notizen über den Palast von Boujloud".

Roger Le Tourneau merkte seinerseits in seinem Buch “Fes vor dem Protektorat“ an, dass Boujloud nichts anderes sei als eine populäre Verzerrung des Namens „Abu al-Junud“ (Vater der Soldaten), welches die offizielle Bezeichnung des Ortes war. Der Platz Boujloud hat die Form einer Festung bzw. einer riesigen Kaserne, die von zwei Kasbahs (Festungen) eingegrenzt wird. Vor dem Bau des Stadtteils „Fas Jdid“ (das neue Fes) im 13. Jahrhundert war es ein Garnisonsstandort.

Die westliche Kasbah Boujloud wurde von den Almoraviden erbaut und diente zunächst als Residenz und später als Sitz der Stadtverwaltung. Die Kasbah wurde um den Bau einer Moschee erweitert, die den Namen „Boujloud“ trägt und über fünf Tore verfügt, symbolisch für die täglich zu verrichtenden fünf Pflichtgebete. Das Minarett ist übrigens im merinidischen Baustil errichtet.

Die damalige westliche Kasbah samt ihren ursprünglichen Fundamenten und Mauern musste nun einem neuen Wohnviertel mit Geschäften und Cafés weichen.

Place Bab Boujloud, Foto: OS Maps

Autor Idriss Al-Jay*

Übersetzung aus dem Arabischen:
Fouad Filali und Idriss Al-Jay

 

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[1] „Ba“ bedeutet Vater, wird allerdings auch als Höflichkeitsform verwendet, anstelle von „Herr“, da „Ba“ eine familiäre Nähe ausdrückt.

[2] Halqa: Zitat aus http://www.alhalqa.com: Eine kreisförmige, bewegliche und pulsierende ‚Architektur’ von Zuschauern, die sich um den Künstler formiert. Genauer noch würde die aus der Antike überlieferte Form des „Circus“/“Zirkus“ - bei dem der Kreis wörtlich festgehalten ist - die Halqa charakterisieren.