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Ramadan, ein Kind erzählt

Ramadan hat für die Muslime eine große Bedeutung. Er gehört zu den fünf Säulen des Islams. Um das Wohlgefallen Allahs zu erlangen, ist seine Einhaltung Pflicht. Aus der Sicht vieler Nichtmuslims ist der Ramadan deshalb nur eine religiöse Pflicht.

 

Ramadan, ein Kind erzählt, Foto: aaron burden 6jYoil2GhVk unsplash.com

Doch ist der Ramadan viel mehr. Nur wer ihn in der Familie erlebt hat, hat die Faszination des Ramadan erlebt.

Der kleine Shakir erlebte den Ramadan hautnah mit. Er sah, wie sich die ganze Familie auf den Ramadan vorbereitet hat. Wochen vorher wurde damit begonnen, Vorräte für den wichtigsten Monat aufzubauen, damit es uns auch wirklich an nichts fehlte. Wenn es bei uns große Packungen an Datteln gab, war mir als Kind klar, was bald anstand. Die Bestellung von Datteln war immer eine Tortour. Ein Onkel hat sie für uns in Bonn mit wachsamen Augen begutachtet, bevor wir mit ihnen versorgt wurden. Die Datteln kamen aus Saudi-Arabien. Und am Schluss des Ramadans wurde immer ein Resümee über die Qualität der Datteln gezogen. Und damit mein Onkel sich nicht beleidigt fühlte, waren sie immer gut.

Da Klein-Shakir ein aufgewecktes und sehr neugieriges Kind war, hatte er zum Ramadan einige Fragen an die

Großen: "Sag mal Mama, wieso fasten wir?"

"Damit wir wissen, wie sich die Armen fühlen! Es gibt viele arme Menschen, die den ganzen Tag nichts zu essen haben. Wir sollen nachvollziehen können, wie es diesen Menschen ergeht. Diese Menschen, die jeden Tag darüber nachdenken, wie sie etwas zu essen kriegen können."

"Das kann ich mir doch auch so vorstellen!"

"Nein Shakir, du sollst es erleben. Du sollst abends beim Fastenbrechen dankbar sein. Du sollst deinem Allah (swt) dankbar sein, dass du nicht zu den Menschen gehörst, die hungern müssen. Wie willst du etwas schätzen lernen, wenn du es noch nie vermisst hast. Der Ramadan ist eine besondere Zeit. Eine Zeit, in der du Allah viel näher kommen kannst, als in anderen Monaten. Allah liebt dich und du sollst Allah deine Liebe und Dankbarkeit zeigen. Schau mal: Bist du mir dankbar, mein Sohn?"

"Ja Mama“

 „Und warum?"

"Weil du meine Mama bist... und weil du für mich da bist. Wenn ich krank bin, schreie ich nach dir und du bist da." "Siehst du mein Sohn - Allah ist auch immer für dich da und will dich dankbar sehen. Aber mach dir noch keine Sorgen - du bist jung und du brauchst noch nicht fasten."

"Ich will aber auch fasten - weckst du mich auch auf, um mit euch zu fasten?"

"Nein - du hast Zeit!"

"Ach bitte Mama - wenigstens einen Tag!"

Abends erhielten wir einen Anruf von unserem Onkel: "Morgen ist Ramadan". Der Mond wurde gesichtet und morgen ist der erste Tag vom Ramadan. Alle freuten sich und der kleine Shakir mit ihnen. Meine Mutter bereitete das Essen für die Nacht vor, damit es nachts nur noch hergerichtet werden kann. Es war spät und der kleine Shakir legte sich schlafen. Er darf endlich seinen ersten Tag Ramadan fasten und er freute sich sehr. Voller Tatendrang kuschelte er sich fröhlich in seine Decke.

Am nächsten Morgen weckte mich das Morgenlicht auf. Ich realisierte, dass ein neuer Tag angebrochen war. Ich stand auf und lief direkt zu meiner Mama. Mit Tränen in den Augen fragte ich sie, warum sie mich nicht geweckt hat. Sie nahm mich in den Arm und beruhigte mich, dass ich doch noch so viel Zeit hätte, um zu fasten und dass ich noch viel zu jung sei. Ich erwiderte heulend:

"Nein...nein... ich bin auch groß - ich will auch mit euch fasten!"

Ich fühlte mich so einsam. Ich fühlte mich nicht dazugehörig. Ich war in meiner Familie ein Außenseiter. Einer, der nicht am fasten ist. Den ganzen Tag musste ich mir von meinen Geschwistern anhören, dass ich ja nicht am Fasten sei und machten Witze über mich: "Shakir fastet ja nachts!" Ich fand das gar nicht lustig. Als Abend alle gespannt auf die Uhr schielten, sah ich meine Mutter, wie sie die leckere Harira in die Schüssel gab. Wie sie die leckere Torte zurecht geschnitten hat und die Dattelpackung öffnete. Aus der Teekanne roch es nach frischem Na3na3. Ein Schlaraffenland.... "Danke Allah, dachte ich nur!" Von hinten hörte ich meinen Bruder sagen: "Wir können essen...!" Und alle kamen zusammen. Jeder suchte sich seinen Platz und der kleine Shakir dazwischen. Auch ich musste mir schließlich einen guten Platz sichern. Und da war er schon wieder - der gemeine Satz: "Wieso drängelst du so? Du hast doch gar nicht gefastet." Meine Mama nahm mich dann in Schutz, man solle mich in Ruhe lassen.

Da saßen wir nun alle in der Küche. Meine Familie. Diese Geborgenheit ist unbeschreiblich. Diese Verbundenheit einmalig. Diese Liebe grenzenlos. Alle freuten sich und lachten. Es klingelte an der Tür und ich spurtete sofort dahin.

"Mama - es ist Onkel Hadsch!"

Onkel Hadsch lebte in Deutschland allein. Seine Frau lebte mit den Kindern noch in Marokko und so besuchte er uns fast jeden Tag im Ramadan. Wir freuten uns jedes Mal, wenn er kam und vermissten ihn, wenn er mal nicht kam. Ich vermisste ihn ganz besonders, denn er brachte mir jedes Mal Schokolade mit.

Als sich Onkel Hadsch zu uns gesellte, verteilte meine Mutter die Schüssel mit der noch kochend heißen Harira. Ich bekam immer meine Schüssel. Eine kleine hellblaue Schüssel, die meinem Alter entsprechend war. Ja - diese Schüssel gehörte mir. Mir ganz allein. Mein Besitz! Und wehe, es bekam sie ein anderer.

Das Fastenbrechen starteten wir mit einer Dattel und das Gerede über die Qualität begann. Mir war es egal - es schmeckte süß und das reichte mir. Mit meiner Schwester hatte ich immer einen kleinen Kampf. Wer von uns die meisten Fleischstückchen in seiner Suppe fand, der hatte gewonnen. Und das Geschrei war groß, wenn ich gar keins gefunden habe.

Es wurde gegessen, geredet und gelacht und saßen lange zusammen, bevor es dann ans Gebet ging. Nach dem Gebet sagte ich dann leise zu meiner Mama: "Morgen faste ich aber mit!" Und am nächsten Tag durfte ich mich wie ein Erwachsener fühlen und habe allen stolz verkündet, dass ich auch faste.

Heute - sehr viele Jahre später wird es diese Familienkonstellation nie mehr geben, auch wenn ich nun der Onkel bin, der seine Nichten und Neffen mit Schokolade erfreut. Auch wenn ich heute kein Familienmensch bin, so würde ich gerne noch einmal dieses Familienleben so intensiv erleben. Noch einmal die Fleischstückchen in der Harira zählen. Noch einmal meinem Onkel die Tür öffnen..... noch einmal.... Aber die Erinnerungen, die bleiben....

Und so hat es sich ergeben, dass mir letztens meine Mutter lachend die kleine bläuliche Schüssel gezeigt hat, die mein Besitz war. Der Anstoß für mich, um meine Erinnerungen an den Ramadan aus meiner Kindheit hier niederzuschreiben. Heute bevorzuge ich allerdings die größeren Schüsseln. Dafür faste ich auch den ganzen Monat. Denn damals - muss ich gestehen, blieb es nur bei diesem einen Tag! Schließlich sah ich es auch so:

Ich war viel zu jung für das Fasten. Es sollten ruhig die Erwachsenen hungern, während ich weiterhin Schokolade futtern konnte.

In diesem Sinne - noch einen gesegneten, familiären Ramadan.

Und denkt dran - die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.