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Der ewige Zyklus: Schöpfung, Blüte und Zerfall der Kulturen

Jede Epoche der Menschheitsgeschichte trägt die Spur eines ewigen Ringens: zwischen Aufstieg und Niedergang, zwischen schöpferischer Kraft und zerstörerischer Trägheit. Das, was wir Fortschritt nennen, erscheint dabei oft weniger als dauerhafte Errungenschaft, sondern als fragile Bewegung, die in dem Augenblick, da sie ihre Blüte erreicht, bereits den Keim des Zerfalls in sich trägt.

Der ewige Zyklus. Foto mit Hilfe von Gemini erstellt

Allein die Gegenwart ist; das Vorher und das Nachher sind nicht. Doch die konkrete Gegenwart ist das Ergebnis der Vergangenheit, und sie ist erfüllt von der Zukunft. Die wahre Gegenwart ist daher die Ewigkeit“, schrieb Martin Heidegger.

Wittgenstein sah die Gefahr schon in seiner Zeit voraus, wenn er mahnte: „Werdet bessere Menschen, und ihr werdet die Welt besser machen.“ Er erkannte, dass die Koexistenz von Mensch und Maschine nur gelingen kann, wenn der Mensch sich treu bleibt, die Technik nicht zum Selbstzweck erhebt, sondern sie nutzt, um sich und andere zu erheben. Denn alles, was uns nicht besser macht, führt am Ende unweigerlich in den Untergang.

Der ewige Zyklus von Aufstieg und Fall

Die Geschichte der Menschheit bestätigt dies in langen Litaneien von Aufstieg und Fall. Immer dann, wenn alles dem Gedanken des Fortschritts geopfert wurde, kam es zur Erschöpfung, zum Zusammenbruch. Gekoppelt an Bequemlichkeit und Wohlstand, schleicht sich Trägheit ein, die langsam, aber unaufhaltsam das Denken, die Ideale und den schöpferischen Geist erstickt, die einst das Fundament einer jeden „Zivilisation“ bildeten. Keine Kultur blieb von diesem Gesetz des Verfalls verschont.

Die Tragik menschlicher Selbstzerstörung

Der ewige Zyklus. Foto mit Hilfe von Gemini erstellt2

Emil Cioran hat diese Tragik scharf gesehen „Ich glaube an das Heil der Menschheit, an die Zukunft des Zyankali“, schrieb er, und anderswo: „Der Mensch ist der Krebs der Erde.“ In der Tat: Immer wieder hat der Mensch alles zerstört, was er aufgebaut hatte. Es ist seine unentrinnbare Fatalität, auf jedem Weg ein Trümmerfeld zu hinterlassen. Das Bild des Kindes, das sein eigenes Spielzeug zerschlägt, mag grausam wirken, doch es ist ein Gleichnis für die Menschheit. Früher oder später zahlen die größten Errungenschaften den Preis der menschlichen Torheit.

Anstatt sich zu seinem Ideal zu erheben, wird der Mensch zur Karikatur seiner selbst. Er verliert sich im Glanz des Reichtums, in flüchtigen Genüssen, in einem falschen Prunk, der ihn von seiner wahren Natur entfernt - von der Natur selbst. Seit den ersten Kulturen in Sumer zeigt sich dies unverändert: Wo keine Kriege, keine Kämpfe um Territorien, Ideologien oder Nichtigkeiten wüten, verfällt der Mensch in Lethargie. Er isst und trinkt, er zeugt und vergnügt sich, er schläft - und sinkt in eine Langeweile, die seine Nachbarn zur Eroberung ermutigt. Das heißt: Der Mensch, dieses Wesen, das nach Zivilisation strebt, vermag sie nur zu erhalten, wenn er zugleich seine wilde Natur zähmt, ohne sie ganz zu verleugnen.

Der Wendepunkt jeder Zivilisation

Der ewige Zyklus. Foto mit Hilfe von ChatGPT erstellt2

Doch wie soll das gelingen, wenn Feste ermüden, wenn Pracht schwächt? Was wir Fortschritt und Entwicklung nennen, beraubt den Menschen am Ende der Kraft, die Leere an der Spitze zu ertragen. Dann naht der Wendepunkt: Die Eliten, müde vom langen Schwertkampf, legen die Waffen nieder - und damit das Fundament ihrer Herrschaft. „Eine Zivilisation beginnt mit dem Mythos und endet mit dem Zweifel“, schrieb Cioran. So wird Fortschritt zu einer Art Ungerechtigkeit, die jede Generation an der vorigen begeht. Der Rest ist ein taumelnder Lauf ins Verderben, ein Sturz, der spektakulär, glänzend und unumkehrbar sein muss.

Denn der Mensch baut nicht für die Ewigkeit. Er wagt große Werke, aber er fürchtet die Erfüllung. In dieser Furcht liegt der Schlüssel zu den großen Niederlagen der Geschichte. Wenn die Trommeln und Fanfaren verstummen, wenn die Völker nicht mehr aufschrecken beim Klang des Krieges, beginnt ihr Niedergang. „Eine Nation erlischt, wenn sie nicht mehr auf die Trompeten antwortet“, sagte Cioran. Der Mensch bleibt ein Eroberer, blutrünstig und mörderisch, unfähig, sich ohne Gewalt einen Platz in der Geschichte zu sichern.

Doch sobald der Sieger auf seinen Lorbeeren ruht, wird er schwach. „Der Krieg erhält die moralische Gesundheit der Völker“, meinte Hegel. Ohne Krieg erlahmt die tödliche Energie, der Mensch gähnt, er schläft, er vergisst. Gefährdung war immer auch Bewahrung - vor sich selbst und vor dem Abgrund. „Die Völker schlummerten. Das Glück wollte, dass sie nicht einschliefen“, schrieb Hölderlin. Doch wenn der Geist vom Rausch der Muße benebelt ist, ist das Urteil längst gesprochen. Was folgt, ist ein dumpfer Schlaf ohne Traum - noch nicht Tod, aber eine tiefe Amnesie.

Und dennoch: Der Mensch besitzt die Fähigkeit, zu vergessen, die Grausamkeit auszuhalten und mit seiner eigenen Kleinheit zu leben. Er kappt die Verbindung zu seiner wahren Natur, um nicht an ihr zu zerbrechen - und schafft sich damit stets eine neue Chance zum Neubeginn. Ein moderner Sisyphos, abgeschnitten von sich selbst.

Ja, der Mensch war einst glücklich wie der Hirsch im Wald. Und noch immer beklagen wir die Tage der Ursprünglichkeit, da jeder wie ein Gott über die Erde wandelte, da niemand dieses seltsame Gefühl kannte, das die Natur des Menschen verändert, da keine Mauern das Atmen im Hauch der Naturseele verhinderten“, schrieb Hölderlin. Tragisch bleibt, dass die Natur vielleicht ihren größten Fehler beging, als sie den Menschen hervorgebracht hat. Indem sie ihn gebar, verurteilte sie sich selbst, das Schauspiel seines unvermeidlichen Ruins ertragen zu müssen.

Ethik und Ästhetik - der Atem des Lebendigen

Ihr entehrt, ihr zerstört, überall, wo die geduldige Natur euch duldet. Und doch lebt sie in ewiger Jugend fort, ihr könnt weder ihren Herbst noch ihren Frühling vertreiben, auch ihr Äther bleibt unverdorben. Muss sie göttlich sein, dass ihr zerstören könnt, ohne sie altern zu lassen, ohne dass das Schöne trotz euch vergeht!“, ruft Hölderlin in seinem Hyperion. So zeigt sich am Ende: Ethik und Ästhetik, das Gute und das Schöne, sind ein und dasselbe - der Atem des Lebendigen selbst.

Über Abdelhak Najib*
Übersetzung aus dem Französischen