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Kino zwischen Kapital und Kreativität - Widerstand des Bildes

Film bewegt sich heute in einem Spannungsfeld aus ökonomischen Vorgaben, technischer Beschleunigung und kultureller Erwartung. Die folgenden Überlegungen richten den Blick auf diese Konstellation und fragen nach den Voraussetzungen filmischer Gestaltung jenseits kurzfristiger Verwertungslogiken. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von Bild, Zeit und gesellschaftlicher Wahrnehmung in einer Medienlandschaft, die zunehmend durch Effizienz und Normierung geprägt ist.

Mohamed NabilAutor und Regisseur Mohamed Nabil nähert sich dem Kino aus einer grundsätzlichen Perspektive. Er versteht Film nicht primär als Unterhaltungsform, sondern als kulturelle Praxis, die in engem Verhältnis zu gesellschaftlichen, ökonomischen und ästhetischen Bedingungen steht. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich die Produktionsweisen des Kinos in den vergangenen Jahrzehnten tiefgreifend verändert haben. Vor diesem Hintergrund werden klassische Positionen der Kultur- und Medientheorie herangezogen, um gegenwärtige Entwicklungen einzuordnen. Der Text folgt dabei keinem nostalgischen Impuls, sondern fragt nach der Möglichkeit eines Kinos, das auch unter veränderten Bedingungen seinen kritischen Anspruch bewahrt. Er lädt dazu ein, Film als Raum der Wahrnehmung, der Zeit und der Reflexion neu zu betrachten.

Über den Verlust der Aura und den Widerstand des Bildes

Das Kino war nie bloß Unterhaltung. In seinen großen Momenten war es eine Form des visuellen Denkens, eine Sprache, die Erinnerung, Geschichte und menschliche Existenz befragt. Doch im Zeitalter des entfesselten Kapitals gerät diese Sprache zunehmend unter Druck. Der Film wird zur Ware, das Bild zum Produkt, und Kreativität misst sich nicht mehr an Wahrheit oder ästhetischer Notwendigkeit, sondern an Marktwert, Reichweite und Verwertbarkeit.

Diese Entwicklung ist nicht neu, doch sie hat heute ihren Höhepunkt erreicht. Karl Marx beschrieb in seiner Kritik der politischen Ökonomie, wie der Tauschwert den Gebrauchswert verdrängt und menschliche Schöpfung in abstrakte Geldrelationen auflöst. Überträgt man diese Logik auf das Kino, zeigt sich: Filme entstehen immer seltener aus innerer Notwendigkeit, sondern primär aus ökonomischem Kalkül. Was sich nicht verkaufen lässt, gilt als überflüssig.

An dieser Stelle wird die Analyse von Walter Benjamin zentral. Benjamin (1892-1940), Philosoph, Kulturkritiker und Mitglied des intellektuellen Umfelds der Frankfurter Schule, untersuchte früh die Auswirkungen von Technik, Kapital und Massenreproduktion auf Kunst und Wahrnehmung. In seinem berühmten Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ schrieb er: „Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“

Diese Aura - das Einmalige, Geschichtliche und Unverfügbare des Kunstwerks - ist im industriellen Kino weitgehend verloren gegangen. Bilder zirkulieren endlos, losgelöst von Ort, Zeit und Erfahrung. Das Kino produziert Realitäten, die nicht erlebt, sondern konsumiert werden sollen. Wahrheit wird nicht enthüllt, sondern simuliert; Kunst wird zur Illusion des Konsums.

Theodor W. Adorno radikalisierte diese Kritik mit seinem Begriff der Kulturindustrie. Für Adorno ist Kultur im Kapitalismus keine autonome Sphäre, sondern Teil der Produktionslogik selbst. Kultur dient der Reproduktion von Herrschaft, indem sie Differenz neutralisiert und Kritik in Zerstreuung auflöst. Im Kino zeigt sich dies in der Dominanz standardisierter Narrative, vorhersehbarer Dramaturgien und emotionaler Vereinfachung.

Die globale Filmindustrie liefert dafür unzählige Beispiele: endlose Franchise-Reihen, Superheldennarrative, Remakes und Sequels, die nicht aus künstlerischer Dringlichkeit entstehen, sondern aus ökonomischer Sicherheit. Hollywood produziert zunehmend keine Filme mehr, sondern Marken. Auch Streaming-Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime operieren datengetrieben: Algorithmen entscheiden, welche Geschichten erzählbar sind. Der künstlerische Blick wird zunehmend durch statistische Prognosen ersetzt.

Demgegenüber steht ein anderes Kino - ein Kino des Widerstands. Das Werk von Andrei Tarkowski, Béla Tarr, Abbas Kiarostami oder Chantal Akerman verweigert sich der kapitalistischen Zeitlogik. Filme wie Stalker, Sátántangó oder Jeanne Dielman entziehen sich Beschleunigung, Effizienz und narrativer Vereinfachung. Sie verlangen Zeit, Aufmerksamkeit und innere Beteiligung - genau das, was der Markt kaum toleriert.

Dieses Kino ist nicht „unrentabel“, sondern ungehorsam. Es stellt Fragen, wo fertige Antworten verkauft werden. Es öffnet Räume für Stille, Erinnerung und Ambivalenz. In Benjamins Sinne unterbricht es den Fluss der dominanten Realität und erzeugt Risse im Bewusstsein, durch die anderes Denken möglich wird.

Heute steht das Kino unter einem doppelten Druck: dem Druck des Marktes und dem Druck normierender Ideologien. Es soll zugleich konsumierbar und eindeutig sein, emotional wirksam, aber politisch harmlos. Doch wahre filmische Kunst beginnt dort, wo sie sich dieser Zumutung entzieht.

Kino, das seine Seele bewahrt, ist kein Spiegel der bestehenden Welt, sondern ein Akt der Befragung. Es stellt Fragen nach Gerechtigkeit, nach Freiheit und nach der Möglichkeit eines anderen Lebens. In einer Zeit der Bilderflut und der permanenten Ablenkung wird diese Form des Kinos nicht einfacher - sie wird notwendiger.

Denn wie Marx, Adorno und Benjamin lehren: Kunst ist dort wahr, wo sie Kritik ist. Kino ist dann keine Ware, sondern Widerstand - Kein Produkt, sondern eine Stimme - die Stimme des Menschen in einer Welt, die ihn zur Anpassung, zur Wiederholung und zum Schweigen zwingen will.