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Zwischen Fortschritt und Rückbesinnung - kulturelles Erbe der islamischen Welt

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Wie gehen wir heute mit unserem kulturellen und spirituellen Erbe um? Zwischen der Forderung nach Fortschritt und der Sehnsucht nach vergangenen Idealen stehen viele islamisch geprägte Gesellschaften an einem Scheideweg. Der Umgang mit der eigenen Geschichte ist dabei kein rein akademisches Thema - er berührt Fragen der Identität, der politischen Orientierung und des geistigen Selbstverständnisses.

Zwischen Fortschritt und Rückbesinnung, Foto mit Hilfe von Gemini erstelltProf. Dr. Faouzi Skali, 2025In seinem Essay, auf Seite 2, wirft der renommierte Islamwissenschaftler und Sufi-Gelehrte Prof. Dr. Faouzi Skali einen tiefgründigen Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne in der islamischen Welt. Er analysiert, wie unterschiedlich muslimische Gesellschaften mit ihrem kulturellen und spirituellen Erbe umgehen - zwischen dem Wunsch nach Erneuerung und der Verklärung vergangener Größe.

Skali verurteilt weder die Rückbesinnung auf religiöse Ursprünge noch die Forderung nach gesellschaftlichem Fortschritt. Vielmehr zeigt er die Gefahren auf, die entstehen, wenn Vergangenheit und Gegenwart gegeneinander ausgespielt werden. Besonders kritisch beleuchtet er Strömungen wie den Salafismus oder den Wahhabismus, die die Frühzeit des Islam als unverrückbares Ideal stilisieren - oft unter Ausblendung historischer Komplexität und pluraler Interpretationen.

Stilistisch bewegt sich der Text auf hohem intellektuellen Niveau. Er ist dicht, stellenweise akademisch, doch durchdrungen von einem tiefen humanistischen Ethos. Skali plädiert für eine spirituelle Rückbindung an das Erbe, nicht als bloße Nachahmung, sondern als Quelle von Sinn, Orientierung und kreativer Inspiration. Die Vergangenheit solle nicht wörtlich wiederholt, sondern geistig verinnerlicht werden - als vertikale Rückkehr in die Tiefe des Menschlichen, nicht als horizontale Rückwärtsbewegung.

Dabei ruft Skali zur Wiederentdeckung der Vernunft in religiösen Diskursen auf. Er erinnert an die rationalistischen Traditionen islamischen Denkens - etwa an die Muʿtazila - und stellt sie gegen fundamentalistische Ausgrenzungsideologien, die sich auf selektive Hadithe stützen, um geistige Abschottung zu legitimieren.

Ein möglicher Kritikpunkt liegt in der Dichte der Argumentation. Der Text fordert Aufmerksamkeit, Vorkenntnisse und eine gewisse philosophische Offenheit. Doch wer sich auf diesen Denkweg einlässt, begegnet einem Plädoyer für eine neue Form von Aufklärung - eine, die das Erbe achtet, ohne sich ihm zu unterwerfen.

Faouzi Skali liefert keine einfache Antwort, aber einen wertvollen Beitrag zur geistigen Selbstvergewisserung der islamischen Welt. In Zeiten der ideologischen Zuspitzung wirkt sein Essay wie ein leiser, aber eindringlicher Ruf nach Maß, Tiefe und Menschlichkeit. Ein Text, der nicht nur gelesen, sondern durchdacht werden will.

 

Neue Ansätze für eine bessere Zukunft
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