Hommage an Mohammed Abed Al-Jabri
Die Frage des Fortschritts und der Rückständigkeit der arabischen Gesellschaft prägt nach wie vor die arabische intellektuelle Debatte. Eine Hommage an den marokkanischen Philosophen und Denker Mohammed Abed Al-Jabri.
Der Weg zum Wandel
An der Universität in Fes/Marokko gab es in den 90er Jahren einen Philosophieprofessor, der uns den marokkanischen Philosophen und Denker Mohammed Abed Al-Jabri[1] anhand folgender Problematik nahebrachte: Warum ist die westliche Welt fortschrittlich und die arabische Welt „zurückgeblieben“? Die Antwort Al-Jabris findet man in seiner „Sicht auf das arabisch-islamische Erbe.“
Die arabische Vernunft in der Kritik
Viele Denker und Philosophen haben versucht, sich dieser Frage zu nähern, um einen Ausweg aus dem Dilemma der abgelehnten Gegenwart aufgrund der historisch verzögerten Entwicklung der arabischen Welt zu finden. Diese Dualität zwischen Fortschritt und Rückständigkeit beschäftigt bis heute die arabisch-islamische Reflexion und erschwert es ihr, neue Denkrichtungen einzuschlagen.
Al-Jabri versuchte in seinem mehrbändigen Werk über die Kritik an der arabischen Vernunft einen Weg des Wandels aufzuzeigen. Er ist ein Denker, der Tabus über Muslime und Araber anspricht bzw. in klare Worte fasst.
Ein Teil seiner Bücher ist ins Deutsche übersetzt worden. Der deutsche Islamwissenschaftler und Übersetzer Stefan Weidner formulierte seine Gedanken über Al Jabri folgendermaßen: "Die Einführung in die Kritik der arabischen Vernunft des Marokkaners Al-Jabri hat das Zeug, unsere Vorurteile gegen den Strich zu bürsten."[2]
Die Philosophie des Denkers Al-Jabri wirft die Frage über die Bedeutung des arabisch-islamischen Erbes und seine philosophischen Dimensionen auf und wie wir damit umgehen können. Eine Rückkehr zu seinen Werken und besonders zu „Nahnu wa Thurat“ („Wir und das Erbe“), das 1980 veröffentlicht wurde, ist dabei unerlässlich, weil es der erste Schritt auf dem Weg seines akademischen Diskurses ist.
Al-Jabri kritisiert drei Lesarten des arabischen Erbes: den salafistisch-orientalistischen, den linken und den liberalen Ansatz, da sie laut ihm das Erbe nicht von innen heraus analysieren und auch nicht auf der Ebene des Verständnisses behandeln.
Die Beziehung der Araber zu ihrem eigenen Erbe und dem der anderen repräsentiert den Kern von Al-Jabris humanistischer Philosophie: Fortschritt kann nur durch das Verständnis des Umgangs mit dem Erbe erreicht werden. "Die Völker können bewusst nur ihr Erbe oder damit Verbundenes verinnerlichen. Sie erleben den menschlichen Aspekt des gesamten Kulturerbes nur innerhalb ihres eigenen Erbes und nicht außerhalb".[iii]
Al-Jabri sieht unsere Zukunft auf der Grundlage der Gegebenheiten unserer Realität, der Spezifität unserer Geschichte und der Elemente unserer Persönlichkeit und nicht in der Vergangenheit oder Gegenwart anderer. Das Selbst muss nach den Ursprüngen der Persönlichkeit und ihren Dimensionen entwickelt werden.
Al-Jabris Kritik am Verstand ist nicht "Kritik an der Kritik, sondern Befreiung von dem Toten in unserer rationellen Existenz und unserem kulturellen Erbe. Ziel ist es, Raum für das Leben zu schaffen, damit es sich in uns weiterentwickelt und immer wieder neu auflebt "[iv]. Al-Jabri will die Struktur der arabischen Vernunft durchbrechen, die aus einer Epoche der Rückständigkeit stammt. Dieser Prozess wird mit theoretischen und systematischen Ansätzen realisiert. Al-Jabri warnt uns, dass die Theorie mit der Realität und Gesellschaft zusammenhängt, in der sie sich entwickelt hat und nicht auf eine andere Gesellschaft übertragen werden kann, da ihre Konzepte und Gesetze dann eine epistemologische Barriere für uns sein würden.
Auf den Spuren des Philosophen Ibn Rushd
Al-Jabri beharrt auf der Notwendigkeit der Gerechtigkeit für das philosophische Denken im Islam, das "unter der Ungerechtigkeit der Historiker" leidet. Die alten islamischen Historiker betrachteten die arabische Philosophie im Islam als "uneigenes" Gut, als fremde Wissenschaft, die sie ablehnten.[v]
Aus der Sicht seines Denkens lädt Al-Jabri uns ein, den Geist der Philosophie von Ibn-Rushd (Averroes) anzunehmen, um die moderne Welt zu verstehen und mit einer positiven Vision in sie einzutreten.
"Im Denken Averroes'", schreibt Al-Jabri, "ist kein Platz für zufällige Ereignisse. Alles ist durch Ursache-Wirkung-Beziehungen miteinander verbunden. Die Freiheit selbst ist in diesem kausalen Netz eingeschlossen. Immer wenn der Mensch die wahren Ursachen kennt, wird er fähig, sein Begehren, seinen Willen zu erfüllen, und darin besteht seine Freiheit."[vi]
Al-Jabri erklärte, dass Religion innerhalb der Religion und Philosophie innerhalb der Philosophie zu verstehen sind, und dass wir eine Beziehung zwischen unserem Erbe und dem zeitgenössischen Weltdenken herstellen müssen.
Aus Al-Jabris Sicht, unterscheidet Ibn Rushd zwischen dem Mittel /der Methode und dem Subjekt/der Theorie. Auf Muslime und Araber angewendet, würde dies bedeuten, mit der Methode wählen sie das Richtige aus, und darauf aufbauend entwickeln sie eine eigene Theorie. Al-Jabri sieht die Philosophie von Ibn-Rushd als Bruch mit Ibn Sinas (Avicenna) dunklem gnostisch orientalischen Blick auf das arabisch-muslimische Kulturerbe.
Was können wir daraus lernen? Der Mensch hat keine Bedeutung in Abwesenheit seines kulturellen Erbes. Al-Jabri suchte einen menschlichen Horizont als Befreiung für das Dilemma der arabischen Gesellschaft. Auch heute ist dieser Ansatz noch immer eine Herausforderung für das arabische Denken.
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[1] Mohammed Abed Al-Jabri (geboren 27. Dezember 1935 in Figuig, Marokko, gestorben 3. Mai 2010 in Casablanca) war ein marokkanischer Philosoph und Literaturwissenschaftler. Al-Jabri lehrte Philosophie an der Universität Mohammed V. in Rabat. Im Dezember 2008 erhielt er den Preis für Freies Denken der Ibn-Rushd-Stiftung in Karlsruhe.
[2] Stefan Weidner: Aufbruch in die Vernunft - Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen. Verlag I. H. W. Dietz, Bonn, 2011, S. 126.
[iii] Nahnu wa Thurat , Wir und das Erbe , auf Arabisch , Ausgabe Taliaa Haus in Beirut und arabisches kulturelles Zentrum in Casablanca, 1. Auflage 1980 , S. 66.
[iv] Takwin al-aql al arabi, Kritik der arabischen Vernunft 1, Herausgeber: arabisches kulturelles Zentrum in Casablanca, 1. Auflage 1991, S. 7-8.
[v] Nahnu wa Thurat , Wir und das Erbe, Ibid , S.39.
[vi] Stefan Weidner, Ibid, S.128.