Wenn Träume zu Taten werden - Marokkos neuer Unternehmergeist
Marokko besitzt Energie, Intelligenz und Mut - doch Unternehmertum verlangt mehr als Ideen. Es braucht Vertrauen, Freiheit und Institutionen, die handeln. Sanae El Amrani ruft zu einem neuen Verständnis wirtschaftlichen Patriotismus auf.

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Sanae El Amrani ist Expertin für öffentliche Politik und sozioökonomische Entwicklung in Marokko. Sie analysiert nationale Reformprozesse mit einem besonderen Schwerpunkt auf Bildungs-, Gesundheits- und Investitionsstrategien des marokkanischen Staates. |
Es gibt etwas zutiefst Marokkanisches in dieser Sehnsucht, zu handeln, zu schaffen, sich durchzusetzen. In jedem Viertel, jeder Schule, jeder Region träumen junge Menschen von Projekten, Lösungen, Möglichkeiten. Das Land hat nie an Energie oder Einfallsreichtum gefehlt - wohl aber an einem Umfeld, das an die Kraft seiner eigenen Talente glaubt.
In den letzten Jahren wurde viel vom Unternehmertum gesprochen, es wurde gefördert, ausgezeichnet, gefeiert. Doch auf dem Boden der Realität bleibt der Unternehmer oft allein - konfrontiert mit Formularen, Fristen und einer Verwaltung, die selten dieselbe Begeisterung teilt. Der Wille ist da, doch die Freiheit zu handeln fehlt noch, ebenso wie das institutionelle Vertrauen, das aus Mut Erfolg macht.
Unternehmertum in Marokko ist mehr als ein wirtschaftlicher Akt - es ist ein Akt des Widerstands. Widerstand gegen die Angst zu scheitern, gegen die Trägheit der Systeme, gegen die Versuchung, das Land zu verlassen, um anderswo einfacher zu beginnen. Zu gründen heißt, hierzubleiben, zu glauben und weiterzumachen - nicht aus Naivität, sondern aus Liebe zu einem Land, das man verändern will.
Doch ein Land kann sich nicht ewig auf den Mut Einzelner verlassen. Wahrer Fortschritt entsteht, wenn die Institutionen denselben Mut zeigen: durch klare Regeln, schnelle Entscheidungen und verlässliche Zusagen. Nicht neue Programme, sondern funktionierende Strukturen bringen Vertrauen zurück. Nicht Ankündigungen, sondern Taten öffnen Märkte, fördern Ideen und schaffen Wachstum.
Marokko besitzt, was viele Nationen suchen: Stabilität, moderne Infrastrukturen, starke Häfen, strategische Partnerschaften und einen festen Platz in Afrika. Aber kein Hafen, keine Straße, keine Fabrik kann das ersetzen, was wirklich zählt - die Menschen, ihre Bildung, ihre Anerkennung und ihr Selbstvertrauen. Die wahre Reform beginnt nicht in den Ministerien, sondern in den Klassenzimmern, dort, wo Neugier entsteht und der Wunsch, etwas zu bewirken.
Die Welt liefert Beispiele: Südkorea verband Staat und Industrie zu einer gemeinsamen Vision, Ruanda baute auf Bildung und Transparenz, die Golfstaaten investieren in Wissen und Zukunftstechnologien. Ihr gemeinsames Geheimnis: politischer Wille, Konsequenz und eine Kultur, die Leistung respektiert. Eine Nation wächst, wenn sie den Unternehmer nicht als Träumer betrachtet, sondern als Gestalter. Wenn eine Mutter mit Stolz sagen kann: „Mein Kind ist Unternehmer“ - so selbstverständlich, wie sie es bei einem Arzt oder Anwalt täte -, dann hat Marokko einen historischen Schritt vollzogen.
Unternehmertum ist kein Privileg, sondern eine Haltung. Es ist der Ausdruck eines leisen, aber entschlossenen Patriotismus: zu bleiben, zu bauen, zu glauben. Denn das wahre Marokko entsteht nicht in den Parolen, sondern in der Geduld seiner Schaffenden - Tag für Tag, aus Überzeugung und mit dem Mut, weiterzumachen.
