Pharma Casablanca - Drehscheibe globaler Gesundheitsversorgung
Medikamente aus Marokko werden in über 35 Länder exportiert - nicht nur nach Westafrika, sondern auch nach Europa, den Nahen Osten und zunehmend nach Lateinamerika. Mit den geplanten Erweiterungen, etwa in Nouaceur und Benslimane, soll das Exportnetz sogar auf 60 Märkte weltweit ausgebaut werden. Casablanca ist nicht nur eine industrielle Drehscheibe, sondern auch ein logistisches Gateway: Dank des Hafens Tanger Med und der Nähe zu Europa werden Lieferketten effizient gestaltet.
Die pharmazeutische Industrie in Marokko ist eng mit den Modernisierungsprozessen des Landes im 20. Jahrhundert verbunden. Während traditionelle Heilmethoden und die Nutzung pflanzlicher Arzneien seit Jahrhunderten fester Bestandteil der marokkanischen Kultur waren, begann die eigentliche Industrialisierung erst während des französischen Protektorats (1912-1956). In dieser Zeit gründeten erste internationale Unternehmen kleine Niederlassungen, vor allem für den Import und die Verteilung von Medikamenten aus Europa.
Mit der Unabhängigkeit 1956 setzte die marokkanische Regierung gezielt auf den Aufbau einer eigenen pharmazeutischen Infrastruktur, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Erste lokale Produktionsstätten entstanden, meist in Partnerschaft mit europäischen Unternehmen. Zugleich wurde ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der die Herstellung, Zulassung und Verteilung von Medikamenten regulierte.
In den 1960er- und 1970er-Jahren verstärkte der Staat seine Rolle als Förderer der Gesundheitsversorgung. Die Errichtung von Universitätskliniken, die Ausbildung von Apothekern und Ärzten sowie der Ausbau von Laboren ebneten den Weg für eine allmählich wachsende Industrie.
Konsolidierung und Expansion (1980er-1990er Jahre)
Ab den 1980er-Jahren professionalisierte sich die Branche: Zahlreiche internationale Pharmakonzerne eröffneten Tochtergesellschaften oder Joint Ventures in Marokko. Parallel entwickelten sich marokkanische Unternehmen, die zunehmend eigene Produktionslinien aufbauten, vor allem für Generika. Casablanca, Nouaceur und Rabat wurden zu industriellen Knotenpunkten.
Mit den 1990er-Jahren begann auch die Integration in den globalen Markt. Marokko trat internationalen Handelsabkommen bei und passte seine Regulierung an internationale Standards an. Die Branche profitierte von Investitionen in Qualitätssicherung, modernisierte Produktionsanlagen und den Export in afrikanische Nachbarländer.
Die 2000er: Marokko als regionaler Akteur
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verfolgte das Königreich eine klare Strategie: Marokko sollte nicht nur für den eigenen Bedarf produzieren, sondern sich als pharmazeutischer Hub für Afrika und den Nahen Osten positionieren. Lokale Unternehmen wie Sothema, Laprophan oder Pharma 5 entwickelten sich zu wichtigen Playern. Sie spezialisierten sich auf Generika, Impfstoffe und zunehmend auch auf biotechnologische Produkte.
Parallel dazu setzten internationale Konzerne wie Sanofi, Pfizer, Novartis und Bayer auf Produktionsstätten im Land. Marokko profitierte von seiner geostrategischen Lage, seiner Nähe zu Europa und seinem Zugang zu frankophonen afrikanischen Märkten.
Die letzten Jahre: Souveränität und Innovation
Die Covid-19-Pandemie (2020-2022) war ein Wendepunkt. Sie zeigte die Risiken globaler Abhängigkeiten und verstärkte die nationale Debatte um souveraineté sanitaire (Gesundheitssouveränität). Marokko reagierte mit großen Initiativen:
- 2021 wurde das ambitionierte Impfstoffprojekt in Benslimane gestartet, das das Land zu einem der größten Impfstoffproduzenten Afrikas machen soll.
- Der Staat fördert verstärkt die biotechnologische Forschung, die Digitalisierung im Gesundheitswesen sowie die Entwicklung von Generika und Biosimilars.
- Partnerschaften mit internationalen Konzernen - etwa Bayer, Pfizer oder Sinopharm - wurden ausgebaut, um Technologie- und Wissenstransfer zu sichern.
Heute umfasst die marokkanische Pharmaindustrie mehr als 50 Produktionsstandorte, deckt rund 70% des nationalen Bedarfs an Medikamenten ab und exportiert in über 30 Länder. Mit einer jährlichen Wachstumsrate von etwa 7-8% gilt sie als eine der dynamischsten Branchen des Landes.
Ausblick
Marokko verfolgt eine Doppelstrategie: einerseits die Stärkung lokaler Unternehmen und Generikaproduktion, andererseits die Förderung von High-Tech-Bereichen wie Onkologie, Biotechnologie und personalisierte Medizin. Ziel ist es, die regionale Führungsrolle im afrikanischen Gesundheitssektor auszubauen und gleichzeitig die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern.
Beispiel Bayer
Mit Fokus auf schwere Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und Krebs sowie einer verstärkten lokalen Produktion und Innovationskraft positioniert sich Bayer als strategischer Partner im marokkanischen Gesundheitssektor.
Bayer Pharma bekräftigt sein Engagement für Marokko, indem das Unternehmen auf zwei zentrale Säulen setzt: eine starke industrielle Verankerung im Land und die Anpassung globaler Innovationen an die spezifischen Bedürfnisse der marokkanischen Patienten. Bei einer Gesprächsrunde in Casablanca stellte Uwe Dalichow, Leiter der Region EMA und Direktor der Division Bayer Pharmaceuticals für den Nahen Osten und Nordafrika, die Vision des Konzerns vor.
Bayer konzentriert seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf besonders belastende Krankheitsbilder mit hoher gesellschaftlicher Relevanz - darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Onkologie. „Manchmal gelingt es uns, das Leben zu verlängern, manchmal die Lebensqualität über einen gewissen Zeitraum zu verbessern - aber unser oberstes Ziel ist selbstverständlich die Heilung“, erklärte Dalichow.
Zugleich baut das Unternehmen auf strategische Partnerschaften mit marokkanischen Produzenten, wodurch Marokko zur regionalen Drehscheibe avanciert. Schon heute exportiert das Werk in Nouaceur in 35 Länder Europas, des Nahen Ostens und Afrikas; mit der geplanten dritten Produktionslinie soll das Netz auf 60 Märkte erweitert werden.
Darüber hinaus investiert Bayer in den Ausbau von Diagnostik und personalisierten Therapien, unter anderem durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Gemeinsam mit marokkanischen Ministerien werden Pilotprojekte entwickelt, um den Zugang zu Medikamenten zu verbessern und Diagnosen zu beschleunigen. Parallel engagiert sich Bayer in der Weiterbildung von Ärzten, Apothekern und Pflegepersonal sowie in Kooperationen mit Patientenverbänden, etwa im Bereich der Hämophilie, um deren Alltagsrealitäten besser zu verstehen.