Marokkos „Blaue Wirtschaft“ als geopolitischer Motor Afrikas
Marokko verfolgt eine nationale Strategie, die zugleich über die eigenen Grenzen hinauswirkt: Das Land positioniert sich als Impulsgeber für eine blau-wirtschaftliche Entwicklung in Afrika. Im Zentrum stehen nachhaltige Aquakultur, Offshore-Energie und neue Formen regionaler Zusammenarbeit entlang des Atlantiks. Besonderes Augenmerk gilt dem Zugang zum Ozean für die Sahelstaaten - etwa Mali, Niger oder Burkina Faso.

„Die blaue Wirtschaft ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit“, erklärte König Mohammed VI. Diese Vision durchzieht Marokkos Strategie für die Atlantikküste Afrikas - als Antrieb für regionale Integration, nachhaltiges Wachstum und geopolitische Stabilität. Marokkos Ansatz betont nachhaltige Nutzung maritimer Ressourcen: von Aquakultur über Offshore-Energie bis hin zur Meeresbiotechnologie.
Drei Leitprinzipien bestimmen Marokkos Vision für die Atlantikregion: Erstens die Vernetzung - also der Ausbau von Transport-, Energie- und Kommunikationsverbindungen innerhalb Afrikas. Zweitens die Standardisierung - durch gemeinsame Regeln und technische Normen für Handel und Umwelt. Und drittens die Industrialisierung, um die Rohstoffe der Region stärker lokal zu verarbeiten und so mehr Wertschöpfung vor Ort zu schaffen.
So entstehen in Regionen wie Dakhla und Agadir Zentren für nachhaltige Fischverarbeitung und Aquakultur. Allein das Projekt „Dakhla Atlantique“ umfasst den Bau eines Tiefseehafens mit einem Investitionsvolumen von rund 1 Milliarde Euro - geplant als logistisches Drehkreuz für Westafrika.
Neben Dakhla gilt auch der neue Industrie- und Logistikpark in Casablanca als Leuchtturmprojekt der maritimen Strategie. Dort entstehen Anlagen zur Verarbeitung von Meeresbiomasse und zur Forschung an maritimen Biotech-Verfahren - in Kooperation mit Frankreich, Brasilien und Südkorea.
Afrikanische Atlantik-Kooperation
Die 2022 ins Leben gerufene „Initiative der Atlantikstaaten Afrikas“ vereint 23 Staaten mit Atlantikzugang. Ziel ist eine koordinierte Zusammenarbeit in Sicherheit, Handel, Umwelt und Infrastruktur - auch durch inklusive Governance ohne hierarchische Strukturen. Beim Gipfel in Rabat im Juni 2023 unterzeichneten 21 Staaten eine Absichtserklärung zur gemeinsamen Entwicklung maritimer Sicherheitsarchitekturen und Umweltstandards. In Liberia, Côte d’Ivoire und Ghana werden erste gemeinsame Monitoring-Zentren zur Überwachung illegaler Fischerei eingerichtet.
Marokko positioniert sich nicht als dominierende Macht, sondern als Katalysator für afrikanische Eigenverantwortung. Auch Binnenstaaten wie Mali oder Niger sollen durch Logistikverbindungen Zugang zum Ozean erhalten.
Die geplante Gaspipeline zwischen Nigeria und Marokko, mit einer Länge von über 5.600 km, soll 13 Länder durchqueren und mehreren Binnenstaaten wie Burkina Faso, Mali und Niger Zugang zu neuen Exportwegen bieten. Das Projekt wird gemeinsam mit der ECOWAS, der Islamischen Entwicklungsbank und der OPEC finanziert.
Die blaue Wirtschaft und Europa

Auch Europa erkennt zunehmend das strategische Potenzial der blauen Wirtschaft - sowohl zur Förderung nachhaltigen Wachstums als auch zur geopolitischen Positionierung im globalen Süden.
Die Europäische Union hat das Konzept der „Blue Economy“ in den Green Deal integriert und fördert Küstenregionen gezielt durch Programme wie „BlueInvest“ und das „European Maritime, Fisheries and Aquaculture Fund“ (EMFAF).
Ein Beispiel ist das „Blue Growth“-Cluster in Galicien (Spanien), das lokale Fischerei, maritime Forschung und nachhaltigen Tourismus zusammenführt. Auch Portugal verfolgt eine ambitionierte Meeresstrategie, mit Investitionen in Offshore-Windkraft und Ozeanbeobachtungssysteme.
Im Rahmen der Afrika-EU-Partnerschaft entstehen zudem konkrete Projekte mit afrikanischen Küstenstaaten - etwa beim Aufbau von maritimen Ausbildungskapazitäten, Datennetzwerken zur Küstenbeobachtung oder Initiativen gegen Meeresverschmutzung.
Deutschland unterstützt über die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) unter anderem in Mauretanien, Senegal und Gambia Programme zur nachhaltigen Fischereiwirtschaft, marinen Biodiversität und Anpassung an den Klimawandel.
Im Vergleich zur marokkanischen Initiative zeigen sich Parallelen, aber auch Unterschiede: Während Europa stark auf Klimaschutz und Technologietransfer fokussiert ist, stellt Marokko seine Atlantikstrategie in den Dienst einer afrikanisch-afrikanischen Zusammenarbeit, betont regionale Souveränität, Zugangsgerechtigkeit und eine gemeinsame maritime Identität.
Blaue Wirtschaft: Ein umfassender Ansatz für nachhaltige Meeresnutzung

Die Blaue Wirtschaft stellt ein vielschichtiges Konzept dar, das die nachhaltige Nutzung und den Schutz unserer Meere und Küsten in den Mittelpunkt rückt. Sie umfasst eine Reihe zentraler Bereiche, die sowohl wirtschaftliche Entwicklung als auch ökologische Verantwortung miteinander verbinden.
Ein grundlegender Pfeiler ist die Fischerei und Aquakultur. Hierbei geht es nicht nur um den Fang von Fischen, sondern verstärkt um nachhaltige Praktiken bei der Zucht von Fischen, Muscheln und Algen. Gleichzeitig ist der Schutz der Fischbestände und die konsequente Bekämpfung illegaler Fischerei von größter Bedeutung, um die maritimen Ressourcen für zukünftige Generationen zu sichern.
Eng damit verbunden ist die Maritime Transport- und Hafenwirtschaft. Diese umfasst die internationale Schifffahrt als Rückgrat des Welthandels sowie die Logistikdrehscheiben der Umschlaghäfen. Im Fokus steht dabei die Verbesserung der Infrastruktur, die gleichzeitig mit einer Reduktion der CO₂-Emissionen einhergehen muss, um die Umweltbelastung zu minimieren.
Ein weiterer wachsender Bereich sind die Erneuerbaren Energien auf See. Hierzu zählen die etablierte Offshore-Windkraft, aber auch innovative Technologien wie Wellen- und Gezeitenenergie. Zunehmend finden auch schwimmende Solaranlagen Beachtung als vielversprechende Quellen sauberer Energie.
Der Tourismus in Küsten- und Meeresregionen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Blaue Wirtschaft fördert hier gezielt den Ökotourismus und die Einrichtung von Meeresschutzgebieten. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Schutz sensibler Ökosysteme wie Korallenriffe und Mangroven, die für die marine Biodiversität unerlässlich sind.
Die Meeresbiotechnologie nutzt die einzigartigen Eigenschaften mariner Organismen für vielfältige Anwendungen in Medizin, Kosmetik, Nahrungsmittelindustrie und anderen Industriezweigen. Ein spannendes Beispiel ist die Entwicklung neuer Antibiotika aus Tiefseebakterien, die potenziell bahnbrechende medizinische Fortschritte ermöglichen.
Wenngleich umstritten, gehört auch die Rohstoffgewinnung im Meer zu den diskutierten Bereichen. Hierzu zählen Aktivitäten wie der Tiefseebergbau, Sandabbau oder die Meerwasserentsalzung. Es ist jedoch zu betonen, dass diese Praktiken ökologisch höchst problematisch und international kontrovers diskutiert werden, da sie erhebliche Umweltrisiken bergen können.
Von entscheidender Bedeutung für das gesamte Konzept ist der Meeres- und Küstenschutz. Dieser umfasst die Renaturierung von Küstenlinien und den Schutz der marinen Biodiversität. Ein kontinuierliches Monitoring von Schadstoffen und Mikroplastik ist hierbei unerlässlich, um die Gesundheit der Meere zu gewährleisten.
Schließlich bilden Wissenschaft & Bildung das Fundament der Blauen Wirtschaft. Meeresforschung, die Entwicklung von Frühwarnsystemen und eine fundierte maritime Ausbildung sind essenziell. Die Datenerhebung zu Klima, Biodiversität und Küstenerosion liefert dabei die notwendigen Grundlagen für fundierte Entscheidungen und nachhaltiges Handeln.