Die Westsahara-Frage im Licht der EU-Diplomatie
Im Kontext der jüngsten diplomatischen Spannungen rund um den Westsahara-Konflikt hat die Europäische Union erneut ihre unveränderte Haltung zur sogenannten „Sahrawischen Arabischen Demokratischen Republik“ (RASD) bekräftigt. Anlass war ein Ministertreffen zwischen EU und Afrikanischer Union (AU) in Rom, dessen Umstände von separatistischen Gruppen instrumentalisiert wurden. Der folgende Beitrag beleuchtet die diplomatische Stellungnahme der EU sowie die historischen, geopolitischen und rechtlichen Hintergründe des Westsahara-Konflikts.
Ein Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes stellte jüngst klar, dass weder die Europäische Union noch einer ihrer Mitgliedstaaten die sogenannte „Sahrawische Arabische Demokratische Republik“ (RASD) anerkennen. Diese Stellungnahme erfolgte als Reaktion auf irreführende Aussagen separatistischer Kreise im Zusammenhang mit einem hochrangigen Treffen zwischen der EU und der AU in Rom.
Wie betont wurde, obliegt es der AU, ihre afrikanischen Mitgliedstaaten zu solchen Treffen einzuladen. Die Teilnahme der „RASD“ sei ausschließlich auf eine Einladung durch die AU zurückzuführen und impliziere keinerlei politische Anerkennung durch die EU. Letztere bekräftigte unmissverständlich ihre konstante Position der Nichtanerkennung der „RASD“.
Der Westsahara-Konflikt: Historischer Hintergrund und Akteure
Der Westsahara-Konflikt ist ein langanhaltender geopolitischer Disput um ein Gebiet an der nordwestlichen Küste Afrikas, das bis 1975 unter spanischer Kolonialherrschaft stand. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen Marokko und die von der Polisario-Front ausgerufene „RASD“.
Die Polisario-Front wurde kurz vor dem „Grünen Marsch“ von 1975 gegründet und zunächst vom damaligen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi unterstützt. In der Folge übernahm Algerien diese Rolle und entwickelte sich zum Hauptsponsor der Bewegung - ein geopolitisches Kalkül mit dem Ziel, sich über das Territorium der Westsahara einen strategischen Zugang zum Atlantik zu sichern.
Der Grüne Marsch: Symbol marokkanischer Rückgewinnung
Der „Grüne Marsch“ im Jahr 1975 war eine gewaltfreie Mobilisierung von rund 350.000 Marokkanern, die in das damalige spanische Gebiet der Westsahara zogen. Aus marokkanischer Sicht markiert dieses Ereignis die Rückführung eines historisch legitimen Landesteils in den nationalen Zusammenhang - ein Akt kollektiver Selbstbestimmung und staatlicher Souveränität.
Legitimität und Repräsentation: Zwei gegensätzliche Realitäten
Die Legitimation der „RASD“ als Repräsentantin der saharauischen Bevölkerung wird zunehmend infrage gestellt, insbesondere angesichts der prekären Lebensverhältnisse in den Flüchtlingslagern von Tindouf in Algerien. Es fehlen Belege für eine freie Willensbekundung der dort lebenden Menschen zugunsten der „RASD“.
Demgegenüber verweist Marokko auf die politische Integration der südlichen Provinzen, in denen die Bevölkerung aktiv am politischen Leben teilnimmt und durch gewählte Vertreter in nationalen Institutionen repräsentiert wird. Diese Regionen verzeichnen zudem ein beachtliches wirtschaftliches Wachstum.
Internationale Positionen und diplomatische Entwicklungen
Die internationale Anerkennung der „RASD“ ist rückläufig. Nur eine kleine Zahl von Staaten unterhält offizielle diplomatische Beziehungen zu ihr. Entscheidend ist, dass keiner der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats die „RASD“ anerkennt oder die marokkanische Position der territorialen Integrität in Zweifel zieht.
Vielmehr haben Staaten wie die Vereinigten Staaten, Frankreich, Spanien, die Arabischen Staaten, sowie eine wachsende Anzahl asiatischer und lateinamerikanischer Länder ihre Unterstützung für Marokkos Autonomieinitiative bekräftigt. Diese sieht eine umfassende Selbstverwaltung der Region unter Wahrung der marokkanischen Souveränität vor. Auch Chinas und Russlands intensive wirtschaftliche Kooperation mit Marokko lässt auf eine zunehmende stille Akzeptanz marokkanischer Ansprüche schließen.
Historische Legitimität: Die Bay'a-Tradition
Marokko stützt seinen historischen Anspruch auf die Westsahara unter anderem auf das Konzept der Bay'a, ein Treueeid, der traditionell von den Stämmen des Landes gegenüber dem Sultan bzw. heutigen König abgelegt wurde. Zahlreiche historische Dokumente belegen, dass auch die saharauischen Stämme über Generationen hinweg diesen Treueeid gegenüber dem marokkanischen Herrscher geleistet haben - ein Beleg für die langjährige Zugehörigkeit der Region zum marokkanischen Staatsgefüge.
Algeriens Rolle und innerstaatliche Repression
Algeriens Engagement im Westsahara-Konflikt geht über außenpolitisches Kalkül hinaus und zeigt sich zunehmend auch in der Repression innerer Stimmen, die von der offiziellen Linie abweichen. Ein drastisches Beispiel dafür ist die Verurteilung des französisch-algerischen Schriftstellers Boualem Sansal zu fünf Jahren Haft - aufgrund seiner Äußerungen zur historischen Zugehörigkeit der Sahara zu Marokko. Dieses Vorgehen verdeutlicht, mit welcher Härte Algerien seine politische Agenda gegenüber der Westsahara nicht nur nach außen, sondern auch nach innen durchsetzt.
Fazit
Die Klarstellung der Europäischen Union zur Nichtanerkennung der „RASD“ steht im Einklang mit der überwiegenden Haltung der internationalen Gemeinschaft. Der Westsahara-Konflikt bleibt ein komplexes geopolitisches Spannungsfeld, in dem historische Legitimitätsansprüche, internationale Diplomatie und regionale Machtinteressen aufeinandertreffen.
Die diplomatische Dynamik der letzten Jahre zeigt jedoch eine wachsende Tendenz zur Unterstützung der marokkanischen Autonomieinitiative - als möglicher Weg zu einer realistischen und stabilen Lösung des jahrzehntelangen Konflikts.