Gründen in Marokko - Wo Vertrauen mehr zählt als Formulare
Wer in Marokko eine Firma gründen will, braucht mehr als eine Geschäftsidee. Man braucht Zeit, Geduld und Menschen, die einem den richtigen Weg zeigen. Thomas, der in Tanger bereits gelernt hatte, wie man ankommt, wagt nun den nächsten Schritt - und erlebt, dass unternehmerischer Mut hier eine ganz eigene Sprache spricht.

Als Thomas an diesem Montagmorgen das Büro des Notars betrat, hatte er die gleiche Mappe in der Hand wie damals bei seiner Carte de Séjour - nur dicker. Darin: Kopien, Übersetzungen, Bestätigungen und eine kleine Skizze seiner Idee - eine Beratungsagentur für nachhaltige Energieprojekte, spezialisiert auf Solarlösungen für Privatkunden. „In Deutschland war alles teurer geworden“, sagte er. „Aber in Marokko ist noch Platz für das, was mit Sonne zu tun hat.“
Der Notar nickte, freundlich und konzentriert zugleich. Er erklärte ihm, dass die beliebteste Rechtsform für kleine Unternehmen in Marokko die SARL sei - die Société à Responsabilité Limitée, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ähnlich der deutschen GmbH. Eine SARL-AU, also mit nur einem Gesellschafter, würde Thomas’ Situation am besten entsprechen. „Das geht schnell“, meinte der Notar. „Wenn man alles beisammen hat.“
Doch was heißt das, alles beisammen?
Eine marokkanische Adresse musste her, eine sogenannte Domiciliation. Ohne sie - kein Handelsregister, kein Steuerkonto, kein Bankkonto. Der Notar empfahl ihm ein kleines Bürozentrum im Viertel M’Sallah, das Büroräume für Gründer anbietet, inklusive Adresse, Postannahme und Mietvertrag. Thomas war überrascht, wie unkompliziert das auf dem Papier klang - und wie kompliziert es dann doch wurde, als der Vermieter erklärte, er brauche vor Vertragsabschluss die Handelsregisternummer…. Ein Kreis ohne Anfang. „Marokko ist nicht unlogisch“, hatte ein Freund ihm gesagt. „Es ist nur zyklisch.“
In den nächsten Wochen lernte Thomas, diesen Zyklus zu akzeptieren. Er sammelte Dokumente, ließ sie übersetzen, und wartete, bis eine Unterschrift die nächste möglich machte. Jede Etappe brachte neue Fragen:
Das Certificat Négatif vom Handelsregister, das den Firmennamen bestätigt. Der Gang zur Steuerbehörde für die Identifiant Fiscal. Der Eintrag ins Registre du Commerce. Schließlich das Geschäftskonto bei einer Bank, das erst nach Vorlage des Handelsregisterauszugs eröffnet werden konnte - oder manchmal auch davor, wenn man den richtigen Berater traf. „Man muss die Reihenfolge nicht immer verstehen“, lachte Thomas später. „Nur die Menschen.“
Bei der Bank lernte er Fatima kennen, eine Beraterin mit präziser Handschrift und Geduld, die zwischen Formularen und Freundlichkeit jonglierte. Sie erklärte ihm, dass jede Einlage - selbst wenn sie symbolisch ist - auf das neue Geschäftskonto überwiesen werden müsse, bevor der Notar die Statuten finalisieren könne. „In Casablanca dauert das manchmal zwei Tage“, sagte sie. „In Tanger lieber eine Woche.“
Zwischen den Schritten wuchs nicht nur sein Papierstapel, sondern auch sein Verständnis dafür, was Unternehmertum in Marokko bedeutet: eine Mischung aus formaler Genauigkeit und persönlichem Vertrauen.
Das Büro des Notars wurde zu einem vertrauten Ort. Die Mitarbeiter grüßten ihn mit einem „Salam Thomas“, und eines Tages stand die Gründungsurkunde tatsächlich bereit - zwölf Seiten auf Französisch und Arabisch, sauber gestempelt, mit seiner Unterschrift unter dem Satz:
La société est constituée pour une durée de 99 ans. Thomas lächelte. „Das ist länger, als ich dachte“, sagte er.
Doch die Arbeit begann erst. Für die Anmeldung bei der CNSS - der marokkanischen Sozialversicherung - musste er sich als Arbeitgeber registrieren, selbst wenn er zunächst allein arbeitete. Eine formalistische Geste, die im System notwendig ist, um Steuer- und Versicherungsnummern zu verknüpfen. Die Taxe Professionnelle, eine Art lokale Gewerbesteuer, folgte kurz darauf.
Und dann war da noch die Sache mit den Rechnungen: Ohne offizielle factures normalisées, also digital erstellte Rechnungen mit gültiger Identifikationsnummer, durfte keine Firma Geld annehmen. Ein kleines Unternehmen musste also nicht nur gegründet, sondern auch buchhalterisch „zum Leben erweckt“ werden.
Thomas fand schließlich eine junge Buchhalterin, Leila, die ihm erklärte, wie man sich bei der Steuerverwaltung online anmeldet, wie man die Umsatzsteuer (TVA) deklariert - und warum Geduld auch in Zahlenform existiert. „In Deutschland wäre das alles automatisiert“, sagte Thomas. Leila antwortete ruhig: „Aber hier wissen Sie, wer Ihnen hilft.“
Das war der Moment, in dem er verstand, dass auch in der Geschäftswelt Marokkos vieles über Beziehung läuft - über Gesichter, die man kennt, über Menschen, die zuhören. Ein Prinzip, das ihn an seine ersten Wochen in Tanger erinnerte: Formulare sind hier nie bloß Papier, sondern Ausdruck von Vertrauen.
Nach fast drei Monaten hielt Thomas den dicken, grünen Ordner in der Hand, der seine Firma offiziell machte. Er enthielt das Certificat Négatif, die Statuts, die Eintragung ins Handelsregister, die Steuernummer, den CNSS-Ausweis, die Eröffnungsbestätigung des Bankkontos und die erste Facture. Ein vollständiges Dossier - das Eintrittsticket in ein neues Leben, diesmal als Unternehmer.
Er mietete ein kleines Büro mit Blick auf das Meer. Kein großes Start-up, keine Investoren, keine Presse. Nur ein Laptop, zwei Stühle und der Entschluss, es richtig zu machen - in seinem Rhythmus, in diesem Land, das Geduld lehrt, indem es sie verlangt. „Marokko“, sagte er, „hat mir beigebracht, dass man Erfolg nicht plant, sondern pflegt.“
Und so wurde Thomas, der einst nur ankam, zu einem der vielen neuen Gesichter einer leisen Bewegung: Europäer, die in Marokko nicht nur leben, sondern gestalten. Menschen, die Brücken bauen - nicht zwischen Büros, sondern zwischen Welten. Dabei halfen ihm, wie so vielen anderen, jene, die schon länger hier sind: Menschen in Tanger, die Neuankömmlinge begleiten, beraten und teilen, was sie selbst gelernt haben - unabhängig, mehrsprachig und mit der Erfahrung, selbst einmal angefangen zu haben.