Nador West Med - Marokkos zweites Hafenprojekt am Mittelmeer
Ein unaufhaltsamer Strom von Lastwagen, beladen mit Kies, Beton und Baumaterialien, durchquert unablässig die Bucht von Betoya, berichtet Europa Sur, das seit Monaten den Aufstieg eines neuen maritimen Giganten auf der südlichen Seite der Meerenge beobachtet.
Nur etwa fünfzig Kilometer von Melilla entfernt errichtet Marokko mit Nador West Med seinen zweiten Mega-Hafen - in direkter Konkurrenz zu den großen spanischen Logistikdrehscheiben, allen voran Algeciras.
Nach Angaben von Europa Sur ermöglicht eine öffentliche Investition Marokkos in Höhe von knapp 730 Millionen Euro die Erschließung mehrerer Hektar Meeresfläche - ohne nennenswerten gesellschaftlichen oder ökologischen Widerstand. Dieses Großprojekt ist Ausdruck der „königlichen Vision Mohammeds VI.“, die bereits den rasanten Aufstieg von Tanger Med Ende der 2000er-Jahre beflügelte.
Ein Hafen im Dienst des globalen Warenverkehrs
Die erste Bauphase, deren Fertigstellung zwischen Ende 2026 und Anfang 2027 erwartet wird, umfasst einen 4.200 Meter langen Wellenbrecher, ein Gegenufer mit 1.200 Metern, einen 1.440 Meter langen Kai sowie eine 60 Hektar große Plattform. Die anfängliche Ausstattung wird acht Containerbrücken, vierundzwanzig RTG-Kräne und vier hochmoderne Mobilkräne umfassen.
Parallel dazu entsteht in Nador West Med ein weitläufiges Energieareal mit einem Tiefsee-Terminal für flüssige Brennstoffe (drei Liegeplätze bei 20 Metern Wassertiefe), einem Kohlekai für ein benachbartes Wärmekraftwerk, einer Mehrzweckanlegestelle sowie einem RoRo-Kai für den rollenden Verkehr.
Nach Angaben der Hafenbehörde Nador West Med wird die Anlage schon ab ihrer Inbetriebnahme eine Kapazität von 3,5 Millionen TEU pro Jahr aufweisen, mit Erweiterungsmöglichkeiten auf bis zu 5,5 Millionen. Hinzu kommen 25 Millionen Tonnen Erdölprodukte, sieben Millionen Tonnen Kohle sowie drei Millionen Tonnen an sonstigem Stückgut.
Ein Hafen jenseits europäischer Vorschriften
Europa Sur hebt hervor, dass „der marokkanische Hafen den Reedereien einen nahezu direkten Zugang zur Meerenge bietet - mit minimaler Abweichung vom Kurs, geringeren Betriebskosten als in Europa und ohne Anwendung des EU-Emissionshandels (ETS) für CO₂-Ausstoß“. Gerade dieser regulatorische Unterschied erhöht die Attraktivität von Nador West Med - insbesondere für globale Logistikkonzerne wie MSC und CMA CGM, die bereits mit Marsa Maroc kooperieren.
Darüber hinaus wird das Projekt von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) finanziell unterstützt, die bereits Kredite in Höhe von 310 Millionen Euro bewilligt hat - ergänzt durch 10,5 Millionen Euro an Zuschüssen für die Freihandelszone Betoya sowie für umwelttechnische Infrastrukturen.
Andalusische Häfen in der Defensive
Diese dynamische Entwicklung hat in Spanien für Unruhe gesorgt. „Nador wird nicht nur Melilla herausfordern, sondern auch Algeciras, Málaga, Motril und Almería“, warnte bereits im September 2024 Manuel Ángel Quevedo, Präsident der Hafenbehörde von Melilla, gegenüber Europa Sur.
In Algeciras wird die Bedrohung ernst genommen: Die seit 2016 eingefrorene Phase B des Containerterminals Isla Verde Exterior wird nun reaktiviert. TTI Algeciras plant dort den Aufbau eines neuen Standorts - unterstützt von Hyundai Merchant Marine, die im Juni einen Investitionsplan über 150 Millionen Euro verabschiedet hat.
Wie Europa Sur schreibt, will Marokko sich „einen größeren Anteil am globalen Seehandel sichern, der durch die Meerenge verläuft“ - einen der vier bedeutendsten Schifffahrtskorridore der Welt. Mit Tanger Med, das bereits mehr als zehn Millionen Container pro Jahr abfertigt, und Nador West Med, das kurz vor der Inbetriebnahme steht, etabliert sich das Königreich als regionale Logistikmacht ersten Ranges.