Blaue Revolution: Marokkos mutiger Kampf um jeden Tropfen Wasser
Marokko, ein Land, das seit jeher von einem ariden bis semi-ariden Klima geprägt ist, sieht sich mit einer zunehmend prekären Wassersituation konfrontiert. Jahrzehntelange Dürreperioden, der Klimawandel mit steigenden Temperaturen und unregelmäßigen Niederschlägen sowie eine wachsende Bevölkerung und ein steigender Wasserbedarf, insbesondere in der Landwirtschaft, haben das Land an einen kritischen Punkt gebracht. Doch Marokko reagiert entschlossen und investiert massiv in eine vielfältige Strategie, um seine Wasserversorgung langfristig zu sichern.
Die Ursachen der Wasserprobleme
Die aktuellen Wasserprobleme Marokkos sind ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren:
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Klimawandel und Dürre:
Marokko erlebt eine der schwersten Dürreperioden seit Jahrzehnten. Die Niederschläge sind drastisch zurückgegangen, und die Temperaturen steigen kontinuierlich. Dies führt zu einer geringeren Füllung der Staudämme, einem Absinken des Grundwasserspiegels und einer zunehmenden Desertifikation. Oasen trocknen aus, und die Landwirtschaft leidet massiv unter den fehlenden Niederschlägen.
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Hoher Wasserverbrauch in der Landwirtschaft:
Die Landwirtschaft ist der mit Abstand größte Wasserverbraucher in Marokko und beansprucht über 80% der verfügbaren Wasserressourcen. Der Anbau wasserintensiver Kulturen, oft für den Export, verschärft die Problematik. Obwohl Fortschritte bei der Tropfbewässerung erzielt wurden, bleibt der Gesamtverbrauch immens.
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Wachsendes Bevölkerungswachstum und Urbanisierung:
Die steigende Einwohnerzahl und die fortschreitende Urbanisierung erhöhen den Bedarf an Trinkwasser und sanitären Einrichtungen, was zusätzlichen Druck auf die bereits knappen Ressourcen ausübt.
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Verluste in der Infrastruktur:
Veraltete oder mangelhafte Leitungssysteme und Infrastrukturen führen zu erheblichen Wasserverlusten, bevor das Wasser die Verbraucher erreicht.
Marokkos Lösungsansätze: Eine nationale Priorität
Die marokkanische Regierung hat die Wasserknappheit als existenzielle Bedrohung erkannt und eine umfassende nationale Wasserstrategie entwickelt. Diese Strategie, die im Nationalen Programm für Trinkwasserversorgung und Bewässerung (PNAEPI 2020–2027) sowie in der Agenda „Generation Green 2020-2030“ verankert ist, umfasst mehrere Säulen:
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Bau und Vernetzung von Staudämmen:
Marokko setzt seit Langem auf den Bau von Staudämmen zur Wasserspeicherung und verfügt bereits über 139 Dämme mit einer Kapazität von 17,5 Milliarden Kubikmetern. Es werden weiterhin neue Dämme gebaut und bestehende modernisiert. Ein entscheidender Schritt ist die Vernetzung der Wasserbecken, die Wasser von Gebieten mit höherem Angebot zu Dürreregionen transportieren sollen. Prominente Beispiele sind die Verbindungen zwischen den Becken von Sebou-Bouregreg-Oum, Rbia-Tensift und Loukkos-Tangérois.
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Meerwasserentsalzung:
Die Meerwasserentsalzung nimmt eine immer zentralere Rolle ein, insbesondere für die Versorgung der Küstenstädte und zur Entlastung der Süßwasserreserven. Marokko plant, seine Entsalzungskapazitäten massiv auszubauen. Die derzeit größte Anlage Afrikas in Casablanca ist ein Leuchtturmprojekt, das ab 2026 eine Produktionskapazität von 200 Millionen Kubikmetern pro Jahr erreichen soll. Weitere Großanlagen sind in Safi, El Jadida, Dakhla und anderen Küstenregionen geplant. Ziel ist es, bis 2030 über 1 Milliarde Kubikmeter entsalztes Wasser pro Jahr zu produzieren, das zu über der Hälfte für Trinkwasser und zu je einem Viertel für Bewässerung und Industrie genutzt werden soll. Viele dieser neuen Anlagen sollen mit erneuerbaren Energien betrieben werden, um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
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Effizientere Wassernutzung in der Landwirtschaft:
Angesichts des hohen Verbrauchs in der Agrarwirtschaft liegt ein starker Fokus auf der Tröpfchenbewässerung. Marokko hat die Fläche mit lokalisierter Bewässerung von 160.000 Hektar im Jahr 2007 auf 750.000 Hektar im Jahr 2022 erhöht und strebt bis 2030 eine Million Hektar an. Dies reduziert den Wasserverbrauch erheblich, da das Wasser direkt an die Pflanzenwurzeln gelangt.
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Abwasseraufbereitung und -wiederverwendung:
Die Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser, insbesondere für die Landwirtschaft und die Bewässerung öffentlicher Grünflächen, gewinnt an Bedeutung. Obwohl bisher ein Großteil der Abwässer unbehandelt bleibt, werden Projekte zur Abwasseraufbereitung und -wiederverwendung vorangetrieben. In einigen Touristenzentren und landwirtschaftlichen Gebieten wird bereits aufbereitetes Abwasser eingesetzt. Neue Anlagen, wie die in Sidi Smail, tragen dazu bei, die Umweltbelastung zu reduzieren und eine zusätzliche Wasserquelle zu erschließen.
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Modernisierung der Trinkwasserinfrastruktur und Reduzierung von Netzverlusten:
Investitionen in die Modernisierung der Verteilernetze und die Reduzierung von Leckagen sind entscheidend, um wertvolles Wasser zu sparen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) unterstützt Marokko hierbei mit Millioneninvestitionen, um die Effizienz der Wassersysteme zu steigern und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
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Schutz der Grundwasserressourcen:
Der Schutz des Grundwassers vor Übernutzung und Verschmutzung ist eine weitere Priorität. Viele Grundwasserleiter sind bereits überbeansprucht, und ihr Pegel sinkt kontinuierlich. Eine nachhaltige Bewirtschaftung und strengere Kontrollen sind unerlässlich.
Herausforderungen und Ausblick
Trotz der bemerkenswerten Anstrengungen stehen Marokko weiterhin große Herausforderungen bevor. Die Finanzierung der gigantischen Infrastrukturprojekte erfordert erhebliche Mittel, und die Abhängigkeit von importierter Wassertechnik bleibt hoch. Der Klimawandel wird die Wassersituation voraussichtlich weiter verschärfen, was eine kontinuierliche Anpassung und Innovation erfordert.
Dennoch zeigen die aktuellen Initiativen und Investitionen, dass Marokko entschlossen ist, seine Wasserzukunft aktiv zu gestalten. Durch eine Kombination aus traditionellen Methoden wie dem Dammbau und modernsten Technologien wie der Meerwasserentsalzung sowie einem verstärkten Fokus auf effiziente Nutzung und Wiederverwendung, ist das Königreich auf einem vielversprechenden Weg, die Wasserknappheit nicht nur zu bewältigen, sondern langfristig eine resiliente und nachhaltige Wasserversorgung für seine Bevölkerung und Wirtschaft zu sichern. Die internationale Zusammenarbeit, wie die Unterstützung durch die EIB und deutsche Unternehmen im Wassersektor, spielt dabei eine wichtige Rolle.