Idriss Al-Jay
Idriss Al-Jay, 1954 in Fès geboren, zählt zu den vielseitigen marokkanisch-deutschen Kulturschaffenden seiner Generation. Als Drehbuchautor, Journalist, Theaterregisseur, Schauspieler, Übersetzer, Filmemacher und renommierter Erzähler verbindet er seit Jahrzehnten literarische, theatralische und filmische Ausdrucksformen zu einem eigenständigen künstlerischen Profil.

Seit seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1990 ist er zu einer bedeutenden Stimme im kulturellen Dialog zwischen der arabischen Welt und Europa geworden. Als Autor schreibt er regelmäßig für die arabische und internationale Presse, darunter Asharq Al-Awsat, Al-Hayat, Al-Quds Al-Arabi und Hespress, sowie für deutsche Publikationen wie Morocco com und die Islamische Zeitung, in deren Redaktionskomitees er mitwirkt.
Seine künstlerische Laufbahn begann im marokkanischen Theater der 1970er- und 1980er-Jahre, wo er als Autor und Dramaturg aktiv war. 1994 wurde er beim Internationalen Universitätstheaterfestival von Casablanca für seine Rolle im Stück Camelia als bester Schauspieler ausgezeichnet - ein Erfolg, der seinen weiteren Weg im europäischen Theater maßgeblich prägte. In Deutschland setzte er seine Ausbildung bei international renommierten Theaterpädagogen fort, unter anderem bei Teresa Nawwrot (Grotowski-Schule), Peter Bruck und David Bennent. Diese Erfahrungen vertieften sein Verständnis eines körperlich-poetischen Theaters und beeinflussten seine spätere Regiearbeit entscheidend.
Parallel entwickelte er eine außergewöhnliche Karriere als professioneller Erzähler. Seine Erzählkunst, inspiriert vom marokkanischen Halqa-Erbe ebenso wie von modernen europäischen Bühnentraditionen, führte ihn zu Auftritten im gesamten deutschsprachigen Raum sowie zu zahlreichen Workshops und internationalen Festivals. Unterstützt vom Goethe-Institut prägte er über Jahre hinweg die Vermittlung arabischer Narrationsformen in Europa. Heute gilt er als eine der prägenden Stimmen für die Erneuerung der oralen arabischen Tradition im europäischen Kontext.
Als Theaterregisseur brachte Idriss Al-Jay eine breite Palette von Werken auf die Bühne - von klassischen Texten wie Jean Cocteaus Die Menschenstimme bis zu modernen literarischen Adaptationen wie Gilgamesch von Verna Felta Güttler. Er war zudem an interkulturellen Produktionen beteiligt, darunter die japanische Inszenierung Rashomon sowie das europäische Großprojekt No Man’s Land (Niemandsland), das in mehreren Ländern - darunter Deutschland, Spanien, Griechenland und die Niederlande - aufgeführt wurde. Seine Regie zeichnet sich durch eine sensible Verbindung von Körperlichkeit, Sprache und visueller Bildkraft aus.
Auch im Film hat Idriss Al-Jay deutliche Akzente gesetzt. Er war Mitautor des preisgekrönten Kurzfilms Eid, der auf internationalen Festivals Beachtung fand, und realisierte mehrere eigene Filmwerke, darunter Kopflos, den mittellangen Dokumentarfilm Fünfzig Jahre marokkanische Migration in Deutschland sowie das vom deutschen Kulturministerium geförderte Kinderstück Migration. 2023 wurde sein Film Meine Liebe zu allen Völkern mit dem Regiepreis des Mittelmeer-Filmfestivals ausgezeichnet - ein Werk, das seine künstlerische Handschrift besonders eindrucksvoll zeigt: eine humanistische Sicht auf Identität, Migration und kulturelle Begegnung.
Sein bibliografisches Werk umfasst bedeutende Übersetzungen. Er übertrug unter anderem Fès, die Stadt der Seele von Anaïs Nin ins Arabische - ein Buch, das zur Brücke zwischen westlicher Literatur und der spirituellen Topografie seiner Heimatstadt wird. Darüber hinaus machte er arabischen Lesern die Reiseberichte deutscher Autoren zugänglich und veröffentlichte zugleich eigene Werke in deutscher Sprache. Seine Übersetzungen zeichnen sich durch besondere sprachliche Eleganz und einen tiefen Sinn für kulturelle Feinheiten aus.
Als Denkender und Vermittler nimmt Idriss Al-Jay regelmäßig an internationalen Konferenzen, Festivals und Forschungsprojekten teil. Er arbeitete mit der UNESCO an Programmen zur Erhaltung arabischer Erzähltraditionen und ist ein gefragter Dozent für Themen wie orale Kultur, interkulturelles Theater, Migrationsgeschichte und historische Narration. Seine Vorträge führten ihn an Universitäten, Kulturinstitutionen und Festivals im gesamten marokkanischen, europäischen und nahöstlichen Raum.
In seinem Werk verbinden sich zwei Welten: Fès, als Ort der Herkunft und Erinnerung, und Deutschland, als Ort der künstlerischen Entwicklung und kulturellen Begegnung. Idriss Al-Jay versteht es, zwischen Sprachen, Kulturen und Generationen zu vermitteln, und erschafft dabei ein Œuvre, das sich gleichermaßen durch humanistische Tiefe wie durch ästhetische Vielfalt auszeichnet.
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