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Kulturelle Kontraste: Mein Leben in der marokkanischen Hauptstadt

Im kulturellen Panorama Marokkos existiert ein verbreitetes Ideal: Viele Marokkaner betrachten den Wunsch, in den USA oder England zu leben, als Synonym für unbegrenzte Möglichkeiten und finanziellen Erfolg. Wenn ich meinen Mitbürgern erzähle, dass ich mich langfristig für ein Leben in Marokko entschieden habe, ernte ich oft erstaunte Blicke und hochgezogene Augenbrauen. Die Redewendung "das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner" beschreibt treffend diese Ideologie, die viele zu hegen scheinen.

 

Als jemand, der beide Lebenswelten kennengelernt hat, kann ich nach zwei Jahren in meinem neuen Zuhause in Rabat mit Sicherheit sagen, dass ich den marokkanischen Lebensstil bevorzuge. Bei meiner Ankunft hatte ich nur wenige Erwartungen an Marokko und wenig Wissen über das Land, seine Kultur und Sprache. Mein Hauptgrund für die Entscheidung, hierher zu ziehen, war der Wunsch, das Land intensiv zu erleben. Das bedeutete, dass ich mich voll und ganz darauf einließ, indem ich bei einer marokkanischen Familie in der traditionellen Medina wohnte, um alle Facetten des Lebens hier zu erfahren.

Abgesehen von dem wunderbaren Wetter hier - was ich betonen muss, da ich aus Großbritannien komme - ist eines der faszinierendsten Merkmale Marokkos das Gefühl der Ruhe. Das mag für diejenigen, die das geschäftige Treiben der Medina erlebt haben, seltsam klingen, wo Menschenmassen sich bewegen und ständig nach "Niedrigpreisen, Ausverkäufen und Geschenken" gerufen wird. Diese Ruhe kommt aus dem entspannten Lebensstil, wo man nicht lebt, um zu arbeiten, sondern arbeitet, um zu leben. Man nimmt sich Zeit für zwischenmenschliche Beziehungen, verweilt stundenlang mit einem Zwei-Dollar-Kaffee im selben Café und lässt die Welt an sich vorbeiziehen, ohne sich genötigt zu fühlen, für ein weiteres Getränk zu bezahlen, um seinen Aufenthalt zu rechtfertigen.

Es ist ein Luxus, sich sogar an einem Arbeitstag zu entspannen, da die Büros hier oft erst um 10 Uhr morgens öffnen, im Gegensatz zum westlichen Arbeitsalltag, der in aller Frühe beginnt und erst mit dem Sonnenuntergang endet. Die Abende sind länger, und die Cafés und Restaurants bleiben bis weit nach dem Abendessen geöffnet. Im Gegensatz dazu fühlt es sich im Vereinigten Königreich oft an, als wäre man in einem Hamsterrad gefangen. Die steigenden Lebenshaltungskosten zwingen dazu, immer länger zu arbeiten, und das Leben bleibt dabei auf der Strecke. Letztendlich war die Entscheidung, die 60-Stunden-Woche, das kalte, dunkle Wetter und die exorbitanten Preise hinter mir zu lassen, eine klare.

Was Marokko einzigartig macht, ist das Gemeinschaftsgefühl, das ich bisher nirgendwo sonst auf der Welt erlebt habe. Selbst in den großen Städten spürt man, dass die Menschen füreinander da sind. Wenn man in ein Taxi steigt, erzählt einem der Fahrer oft seine Lebensgeschichte, und man kommt schnell ins Gespräch mit den anderen Passagieren, als würde man sich seit Jahren kennen. In den kleinen Läden wird man sofort mit Vornamen angesprochen, und wenn man einmal sein Portemonnaie vergessen hat, kann man sich bedienen und beim nächsten Besuch bezahlen, ohne dass es ein Problem darstellt.

Wenn jemand unangemessenes Verhalten zeigt, ist es selten notwendig, die Polizei zu rufen. Die Gemeinschaft interveniert oft von selbst und mahnt die Person mit einem „hchouma alik (schäm dich)“, sodass sie mit gesenktem Kopf abzieht.

Das Empfinden, in Marokko sicherer zu sein als in jedem anderen Land, in dem ich gelebt habe, erscheint mir wie ein wahres Wunder. Ich teile diese Erfahrung gerne mit Menschen, die von den stereotypen westlichen Vorstellungen über arabische und afrikanische Länder geblendet sind und glauben, dass sie alle „unsicher“ seien.

Selbst einfache Anliegen wie die Frage nach dem Weg werden hier mit außergewöhnlicher Freundlichkeit beantwortet. An einem meiner ersten Tage in Marokko habe ich mich verirrt, ohne die Möglichkeit zu haben, zu kommunizieren oder ein funktionierendes Telefon zu nutzen. Ein Mann schloss seinen Laden und begleitete mich 30 Minuten lang bei brütender Hitze, um mir den Weg zu zeigen.

Wenn man an einer Hochzeitsfeier vorbeikommt, ist es wahrscheinlich, dass man herzlich willkommen geheißen wird und bis in die frühen Morgenstunden an den endlosen Essens- und Tanzrunden teilnehmen kann. In den ersten beiden Monaten meines Aufenthalts in Marokko wurde ich zu drei Hochzeiten eingeladen, ohne die Braut, den Bräutigam oder ihre Familien zu kennen. Dies steht im starken Kontrast zu unserem formalen und distanzierten System im Vereinigten Königreich.

Natürlich hat auch Marokko seine Herausforderungen. Einer der unangenehmsten Aspekte ist der zeitraubende Prozess der Bewältigung aller offiziellen Angelegenheiten. Man muss mit einer Vielzahl von Behördengängen rechnen, die sich über Monate erstrecken können. Bei diesen oft mühsamen, aber notwendigen Besorgungen pendelt man zwischen verschiedenen Ämtern hin und her, wird oft zum gleichen Amt zurückgeschickt, von dem man gerade gekommen ist, und verbringt Stunden in nicht vorhandenen Warteschlangen mit einem Stapel von Fotokopien, die mit Stempeln versehen werden müssen – denn ohne Stempel gilt in Marokko vieles nicht als authentisch. Doch all dies erscheint wie ein kleiner Preis, wenn man in einem Land lebt, in dem man sich von der ersten Minute an willkommen fühlt.

Siehe auch dieses YouTube-Video:
Rundfahrt durch Rabat