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Meißen zeigt weiße Schrift auf weißem Gold

Im Jahr 1710 wurde in Meißen - bekannt als die Stadt des weißen Goldes - die Porzellanmanufaktur gegründet. Heute werden informative Führungen einschließlich eines Rundgangs durch die Ausstellungsräume angeboten.

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Hakim Ghazali (Aufglasurmalerei Meissen Couture Art Campus 2014) von artCAMPUS

Nahezu für jede Geschmacksrichtung ist etwas zu entdecken. Auffällig jedoch sind die oft überbordenden Verzierungen und Bemalungen nicht nur an Geschirr - wie beispielsweise dem Chinesen als Senfgefäß, sondern auch an Unikaten, wie einem Mohren mit Kakadu. Plötzlich betritt man in der ersten Etage einen großen, spärlich beleuchteten Raum, erfrischend schlicht gestaltet. Große Porzellankacheln an den Wänden, wenige Vasen und Teller, alle ungewöhnlich bemalt. Erst beim längeren Hinschauen erschließt sich dem Betrachter: hier ist Kalligraphie künstlerisch mit Porzellan vereint.

Das macht neugierig. Im Ausstellungsraum hängen Informationstafeln über die Künstler, mehr ist jedoch nicht in Erfahrung zu bringen. Auch Mitarbeiter in den Ausstellungsräumen können kaum weiterhelfen. So bleibt nur die eigene Recherche, die sich durchaus spannend gestaltet und bis zu einem Kontakt mit dem marokkanischen Künstler Hakim Ghazali führt.

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Hakim Ghazali im Atelier, Meißen 2014 von artCAMPUS In Casablanca geboren, wurde Ghazali bereits mit drei Jahren durch den Besuch einer Koranschule von der Schönheit arabischer Schrift geprägt. Schon damals entwickelte er ein Gespür für Linien, Formen und Farben. Früh wurde sein Talent entdeckt, 1985 folgte die erste Einzelausstellung. Später erhielt er ein Stipendium des marokkanischen Kulturministeriums und begann in Frankreich und der Schweiz zu studieren: an der Hochschule für Kunst und Design in Amiens, der Hochschule für bildende Kunst in Paris und der Hochschule für visuelle Kunst in Genf.

Eine Farbe auf der Leinwand, ein Traum, ein besonderes Licht - hier verbergen sich seine Inspirationsquellen. Zahlreiche Ausstellungen und Preise führen dazu, dass Ghazali von Kritikern als einer der talentiertesten zeitgenössischen arabischen Künstler angesehen wird. Hakim Ghazali hat die Einladung aus Meißen als Kulturdialog verstanden und berichtet, dass es für ihn eine neue Erfahrung war, in einer so bedeutenden Porzellanmanufaktur zu arbeiten. Seine künstlerischen Ideen auf der glatten Oberfläche des Porzellans zu verwirklichen sieht er als neue und spannende Herausforderung an.

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Hakim Ghazali (Aufglasurmalerei Meissen Couture Art Campus 2014) von artCAMPUS Dr. Christian Kurtzke, im Jahr 2009 Vorsitzender der Geschäftsführung der Porzellanmanufaktur, rief den MEISSEN artCAMPUS ins Leben, um die Manufaktur künstlerisch zu bereichern. Seine Beweggründe formuliert er: Vielmehr verstehen wir uns als eine Art Plattform mit Mehrwert – für Künstler und Galeristen, die bei uns neue Möglichkeiten der Gestaltung erschließen können …

Im Jahr 2014 lud die Stadt Meißen Künstler aus dem Mittleren Osten in die Porzellanmanufaktur ein. Unter Leitung der Historikerin und Kuratorin Karin von Roques möchte der MEISSEN artCAMPUS damit einen Beitrag zum Kulturdialog leisten und bietet eine einzigartige Plattform für die Auseinandersetzung mit einem traditionellen europäischen Werkstoff - dem Porzellan.

Die Entwicklung der Kunsttradition in der westlichen und arabischen Welt ist - aus historischer Sicht nachvollziehbar - völlig verschiedene Wege gegangen. Waren Malerei und Skulpturen in der westlichen Welt schon lange künstlerische Ausdrucksformen, so spielten Kunsthandwerk und Schrift in der arabischen Welt eine bedeutende Rolle. Kalligrafie war und ist hier ein Kulturbestandteil. Daher verwundert es nicht weiter, dass viele dort beheimatete Künstler eine Kalligrafie-Ausbildung absolvieren. Hier reihen sich auch die Künstler ein, die in Meißen gearbeitet haben.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine zaghafte Annäherung an europäische Tradition. Die Hinwendung zur Moderne verlief in den Ländern des Mittleren Ostens nicht ohne Spannungen. Die einen wollten am Kulturerbe wie etwa an der klassischen Kalligrafie festhalten. Andere wollten demonstrieren, dass sie eine Modernisierung und Erneuerung für notwendig halten und dass es ein modernes arabisches und iranisches Bewusstsein globaler ästhetischer Diskurse gibt.

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Golnaz Fathi (Aufglasurmalerei) von marokko-erfahren.deGolnaz Fathi, artCAMPUS-Teilnehmerin aus dem Iran erklärt selber, dass es ihr in ihren künstlerischen Arbeiten nicht mehr um die Lesbarkeit von Buchstaben oder Texten geht, sondern um deren Verwendung als formale Elemente. Indem ich mich der Abstraktion zuwandte, begann ich die Regeln zu brechen, all die strengen Vorgaben und Richtlinien, die ich gelernt hatte. Trotzdem bin ich nach wie vor dankbar, so viele Jahre traditionelle Kalligraphie studiert zu haben.

Der in Syrien geborene Khaled Al-Saai kommt mit anderen Intentionen nach Meißen: Mich reizte die Chance, meine Kunst [Kalligrafie] auf einem Material zu sehen, das in der Geschichte der Islamischen Kunst - während des Omayyad-Kalifats - bereits Verwendung fand. Ein neues Medium eröffnet stets neue Möglichkeiten in der Kunst.

Dem Familienclan der Umayyaden (661 bis 750 n. Chr.), dem auch Religionsgründer Mohammed entstammte, war Keramik zur Herstellung von Geschirr, Schalen, Lampen und Wassergefäßen bereits bekannt. Allerdings waren sie nur teilweise mit groben Strichen bemalt, oder türkisfarbig glasiert. Nachvollziehbar, dass es heute Künstler reizt, beide Elemente miteinander zu kombinieren.

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Nja Mahdaoui -Mediterranean Goldmalerei auf blauem Fond von marokko-erfahren.deDer Tunesier Nja Mahdaoui äußert sich zu seiner Einladung fast ehrfürchtig: Die auf Kaolin basierende Masse bedarf einer sehr sorgsamen Behandlung. Es war eine große Freude und Ehre für mich, einmal plastisch zu experimentieren und meine Arbeit erstmals auf Porzellanobjekten auszuführen, die von Handwerkern der Meissner Manufaktur zuvor modelliert worden waren. Die größte Herausforderung für mich als Maler bestand in der Veränderung der Farbpigmente durch Brand und Glasur.

Hakim Ghazali meint, dass er es gewohnt ist, bei seinen künstlerischen Forschungen andere Medien zu entdecken, um durch den so gewonnenen Mehrwert die eigene Arbeit zu bereichern. Er bevorzugt den traditionellen nordafrikanischen Schriftstil maghribi. Dabei handelt es sich um eine elegante arabische Buchschriftart, welche ab dem 10. Jahrhundert u. a. im Maghreb verwendet.

Die Kalligraphie wird durch die Hand und den Qalam vermittelt und dann kommt das Porzellan als Träger, erklärt uns Ghazali. Ein Qalam ist eine Art Stift aus geschnittenem, getrocknetem Schilfrohr, der für die islamische Kalligrafie verwendet wird. So lockt es ihn, die aus der Geschichte der arabisch-islamischen Zivilisation schon lange bestehende Verbindung zwischen Kalligraphie und dem Medium Porzellan in der heutigen Zeit wieder zu beleben.

Schwierig gestaltet sich für den Künstler das Mischen und Verdünnen der Farben und die Tatsache, dass sich einige Farben nach dem Brennen verändern. Dazu äußert er sich aber sehr positiv: Ja, es ist ein bisschen merkwürdig, dass sich einige Farben nach dem Brennen verändern. Aber ich finde es wunderbar, wie sich ein Maler fühlt, der es gewohnt ist, die Töne dieser Farben so zu sehen, wie er sie am liebsten haben will. Alles löst sich in einer exquisiten Farbskala auf. Ich glaube, dass ich durch diese für mich neuen Techniken meine Art und Weise und meine Farbpalette noch einmal sehr verändert und sie noch einmal ein bisschen interessanter gemacht habe.

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Hakim Ghazali (Aufglasurmalerei Meissen Couture Art Campus 2014) von artCAMPUS Ghazali stellt sich in seiner Malerei neben den Herausforderungen rein formaler Aspekte auch den philosophischen und spirituellen Themen, kurz gesagt, den existenziellen Fragen des Menschen. So nimmt er auch die Vorgaben der Formate aus der Porzellanmanufaktur gelassen hin, beschäftigt sich in seinen Gedanken zusätzlich mit der möglichen Bedeutung dieser Formen und Formate. Rückblickend resümiert er: Ich habe auf jeden Fall neue, unvorhergesehene Vorstellungen entdeckt, die sich gerade bilden.

Dazu bleibt er auch während des artCAMPUS seinem „Markenzeichen“ treu, beschränkt sich auf die Verwendung weniger Farben. Mit Weiß anfangen, mit Weiß aufhören, sind seine eigenen Worte. Und hier ist er mit dem typisch weiß glasierten Porzellan in Meißen genau an der richtigen Stelle, kann eine Bilderwelt voller Spiritualität entstehen lassen. Auf einem seiner beim artCAMPUS entstandenen Werke hat er den Schriftzug mit der Bedeutung Schönheit oder Ästhetik insgesamt achtmal verwendet, dreimal davon in weiß auf weißem Untergrund. Denn Weiß bedeutet für Hakim Ghazali lebensnotwendiges Licht.

Ausstellung besuchen: Staatliche Porzellan-Manufaktur Meißen GmbH, Talstraße 9, 01662 Meißen, Telefon: +49 3521 4680 * Quellen: https://www.meissen.comArt Gallery, Hakim Ghazali - https://de.wikipedia.org 

Meißen, Stadt des weißen Goldes, Foto: Ahmad Moualla (Aufglasurmalerei) von marokko-erfahren.deSicher findet auch Ghazali in den Worten des syrischen Künstlers Ahmad Moualla seine eigenen Erfahrungen wieder: Mein Besuch in Meißen, dem Königreich des Porzellans, war ein Eintauchen in dieses mysteriöse Feuer, das seine Geheimnisse erst nach dem Brand freigibt. Ein Eintauchen in eine Welt zwischen Chemie und Physik, Kunst und Wissenschaft, Spiritualität und Materialität.

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